Mein Postdoc ist erfolgreich abgeschlossen und ich habe noch 90 Tage Zeit, um Japan ausserhalb von Tokyo zu erkunden, denn Tokyo ist nicht mein Platz. Ich war nie ein Grossstadtmensch und werde es wohl nie werden. Der Plan mit dem Velo von Kyoto nach Okinawa zu kommen. Der Weg? Ungewiss, immer der Nase nach. Eigentlich wollte ich von Kyoto nach Norden starten, aber das Wetter dirigierte mich in den Süden. Dadurch konnten Kiyo, der die erste Woche mitgekommen ist, und ich zwei Freunde von ihm Besuchen und einen Freund von mir in Shikoku.
Alles ergab sich so. Die Sonne schien, der Weg nach Osaka war schön und wir fanden das spannendste Soba-Restaurant in dem ich bisher war. Obwohl ich in Japan wirklich jedes Essen, das sich mir angeboten hat (ausser Walfleisch), probiert habe, gibt es noch immer so unglaublich viel zu entdecken. So gab es hier eine gallertartige Masse in einer interessanten Sauce. Es schien alles sehr traditionell, aber unglaublich auserlesen. Genau das ist das Schöne an Japan. Es gibt so unglaublich viel zu entdecken. Man muss nur die Augen offen halten und es fliegt auf einen zu. Selbst nach zweieinhalb Jahren hier.
Leider hatte Kiyo einen eher engen Zeitplan und ich wollte seine Etappe mit Shimanamikaido abschliessen. Sprich uns blieb nicht viel Zeit zu verweilen. Wir fuhren ziemlich schnell durch Shikoku durch. Der Tag über die Berge war hart. Es war kalt, regnete und wurde Nacht. Ein Rennen gegen die Zeit, denn wir hatten zum Abendessen abgemacht und wollten es unbedingt schaffen, bevor das Restaurant schloss. Und wir schafften es dank Kiyos Windschatten. Allerdings kam ich schon ziemlich an meine Grenze, wenn ich versuchte mit ihm Schritt zu halten. Und ich bin wirklich nicht gerne der Bremsklotz. Aber obwohl ich verrückte Sachen mache, mag mein Körper halt doch einfach nicht mit einem gut trainierten Mann mithalten. Schon ein bisschen unfair, aber so ist es halt.
Aber das wars wert wir assen ausgezeichnet in Matsuyama und ich durfte an die Uni gehen und dort erklärten mir die Studierenden des Professors den wir besuchten ihre Projekte. Es ging um die frühe Detektion von Krankheiten wie zum Beispiel Krebs. Sehr spannend. Für die Studierenden war es wohl der erste Besuch einer englischsprachigen Person und sie hatten ihre liebe Mühe damit mir ihr Thema auf Englisch zu vermitteln und für mich war es fachfremd, sprich auch nicht einfacher. Zum Glück waren die Projekte der Studierenden thematisch sehr verwand, sodass ich am Ende des Tages viel verstanden hatte. Es machte einfach Spass in Forschung rein zu schauen, die absolut nichts mit meiner zu tun hatte und wo ich auch keinen Druck verspürte irgendetwas verstehen zu müssen und dennoch kam die Begeisterung dafür schnell auf. Kiyo arbeitete indessen den ganzen Tag.
Am nächsten Tag kam der krönende Abschluss oder Anfang könnte man sagen. Shimanamikaido. Eine ca. 70 km lange Fahrradstrecke auf der man von Shikoku nach Honshu gelangt. Und zwar hüpft man über ziemlich viele Brücken von Insel zu Insel. Das klingt erstmals flach, allerdings sind diese Brücken sehr hoch. Zum Glück hatte mich Fabian gewarnt. Sonst hätte ich es wieder einmal auf die zu leichte Schulter genommen und Kiyo wohl seinen Bus zurück nach Tokyo verpasst.
Diese Überfahrt war auf jeden Fall fantastisch und ich kann sie wirklich nur empfehlen. Obwohl es ziemlich hoch und runter geht, wurde beim Bau der Wege darauf geachtet, dass meist 3% Steigung nicht überschritten wird. Es wurden also Loops gebaut auf denen wir hochfahren konnten. Sehr japanisch, wenn sie es machen dann grad richtig. Dafür gibt es abgesehen davon jetzt nicht gerade einen Überschuss an Fahrradwegen über Japan verteilt. Velos können auch einfach in Onomichi gemietet werden. Onomichi ist insgesamt ein besuchenswerter Ort, viele kleine Läden und Restaurants, mehrere ansprechende Hostels, einfach ein angenehme Atmosphäre. Also wenn es euch mal nach Japan verschlägt und ihr ein bisschen Fahrradluft schnappen wollt, dann wäre dies (nachdem ich fast durch ganz Japan gefahren bin) meine Empfehlung. Gefolgt von der Fahrt um den Biwako (ko=See)
Als Kind habe ich Bücher über Urvölker verschlungen. Sowohl Romane als auch Sachbücher. Zusammen mit meinem Freund Dorian, träumte ich davon die Papua Neuguinea zu besuchen, ich las über Mangrovenwälder, ohne jemals ein Fotos zu sehen. Nun begegnete ich auf meiner Velotour unverhofft dieser Vorstellung als ich durch die Jahreszeit gezwungen von Kyoto nach Süden und nicht nach Norden paddelte, wie ich es normaler Weise tun würde.
Mit dem Schiff lassen sich zumindest alle Inseln bis Okinawa erreichen. Ishigaki (mein eigentliches Ziel) disqualifizierte sich leider selber, denn diese Insel ist tatsächlich nur noch per Flugzeug erreichbar. Ich liess also den Zufall entscheiden wohin ich stattdessen gehen würde, denn obwohl Okinawa sehr schön war, besonders der Teil wo meine Freunde aus Tokyo und ihre Familie dazu kamen, so fand ich den Süden mit all den Militäranlagen schon eher bedrückend. Auch spürte man die Skepsis gewisser Leute Westlern gegenüber. Natürlich wurde es nie ausgesprochen, aber es fühlt sich einfach anders an.
Mita, eine wirklich coole Frau, die ich in Motobu getroffen habe, empfahl mir Amami und ganz speziell das Sangobeach (Sangobiichi ausgesprochen) Guesthouse. Da war sie also gefallen, die Entscheidung. Immer gut wenn einem das irgendwie abgenommen wird, besonders weil Yana und Shori mir die Insel auch schon wärmstens empfohlen hatten. Seis drum, so fallen bei mir meist Entscheidungen und ich sollte es keinen Moment bereuen, oder fast keinen.
Ich erreichte die Insel spät Abends mit der Fähre. Naze, die Stadt im Norden war ruhig, ein lauer Wind wehte. Da war noch eine Weihnachts(oder Neujahrs-) Beleuchtung. Ich erreichte das Hostel und erhielt ein Einzelzimmer. Ein unglaublicher Luxus für mich nach all den kalten Nächten im Zelt und den vielen Hostels.
Am nächsten Morgen machte ich mich auf die Inselrundfahrt. Bis ich nach ca. 20 Kilometern ein neues Geräusch von meinem Fahrrad vernahm. Das hatte mir Jonas vor vielen Jahren beigebracht, hör immer auf dein Fahrrad und ein neues Geräusch ist ein sehr schlechtes Zeichen. Damals hatte er das erwähnt als uns die erste Speiche brach. Später wurde dies zu einem vertrauten Geräusch, denn eine nach der anderen begann zu brechen. Ich fuhr noch einige Meter weiter, beobachtete und bemerkte, dass meine linke Satteltasche vorne sehr schräg hing. Der Gepäckträger war zur Hälfte abgebrochen. Schraube verloren dachte ich. Kurzes Nachforschen ergab allerdings, dass sie nicht verloren, sondern abgebrochen war. Die Spitze noch schön in der Gabel des Fahrrads festgewunden, unmöglich für mich die irgendwie raus zu bekommen.
«Nein!» fluchte ich einen meiner schlimmsten Flüche und dann kam auch schon eine Frau, die mir anbot mein Gepäck bei ihr zu lagern. Dankend lehnte ich ab, aber ihre Hilfsbereitschaft liess mich optimistisch bleiben. Ich beschloss also mit der einen Satteltasche auf dem Rücken weiter zu fahren. Die verbleibende Runde um die Insel waren noch ca. 100 Kilometer. Das würde ich schon irgendwie schaffen, dachte mein Kopf. Nacken und Schulter ächzten allerdings schon. “Grossartig, Mariane und ihr Dickschädel und wir müssen es mal wieder ausbaden.”
Stattdessen ging ich erneut in den Mangroven Kajak fahren. Der eine Guide freute sich sehr sein Englisch zu praktizieren und wir unterhielten uns wunderbar, leider reichte sein Wortschatz nicht aus, um mir die Details, die sie über die Mangroven berichteten zu übersetzen, aber stattdessen erzählte ich ihm irgendwann von meinem Velo. Kurzum, sie sendeten mich nach der Kajakfahrt Mitagessen und als ich zurück kam war die Schraubenspitze draussen und eine neue drin. Er hatte sie mit einem kleinen Bohrer zerstört. Zum Glück habe ich nicht daneben gestanden und mit Sorgen um mein Velo gemacht, sondern probierte stattdessen Keihan, eine lokale Spezialität, wo man Reis und eine Suppe bekommt und einige Beilagen und diese Bestandteile dann selber zusammen mischt und isst.
Schon faszinierend in Japan, ich stürze mich wirklich auf fast alles, was ich bezüglich Essen nicht kenne und es gibt noch immer so viele neue Sachen zu entdecken. Ich weiss nicht, ob man davon jemals gesättigt werden kann.
Seis drum, frohen Mutes fuhr ich weiter zum Yadori Beach. Einer der schönsten Strände, die ich je gesehen habe und ich genau zum Sonnenuntergang erreichte. Dafür musste ich allerdings noch ziemlich kräftig in die Pedalen treten weil ich doch mit der Veloreparatur einiges an Zeit eingebüsst hatte. Aber ich wollte auf jeden Fall vor Sonnenuntergang mein Zelt aufgebaut haben, denn ich wurde vor Habu, einer ziemlich giftigen Schlange gewarnt, die nachtaktiv ist. Allerdings im Winter zum Glück weniger aktiv. Wurde ich beruhigt. Dummer Weise hatte ich eine frisch überfahrene Habu auf der Strasse liegen sehen. Ich wollte es also sicher nicht darauf ankommen lassen. Der neue Bär war geboren. Braucht es wirklich immer etwas um davor Angst zu haben? Ich musste lachen bei dem Gedanken.
Es war ein gratis Campingplatz, zwei weitere Personen waren dort. Später erfuhr ich, dass sie zu den Japanischen Selbstverteidigungskräften gehörten. Das ist eine Armee, die einfach nur aus Selbstverteidigung ausgerichtet ist. Die zwei waren sehr sympathisch, sprachen allerdings nur Japanisch (wie alle im Folgenden erwähnten Personen auf der Insel). Wir sprachen lange, sie waren betrunken, ich trank aber selber zur Sicherheit nichts, als es mir angeboten wurde. Sie nickten verständnisvoll. Natürlich nicht, du machst ja Sport.
Ein ganz spannender Punkt war, als der eine von der Ukraine zu berichten begann und sagte wie schade das ist und dass es so viel weniger Leid auf dieser Welt gäbe, wenn die Staaten statt das Geld in Raketen zu investieren, es in die Ernährung der Bevölkerung stecken würde. Das von eine Soldaten zu hören halte ich für ein gutes Zeichen.
Später lag ich in meinem Zelt. Ich hörte die Geräusche des Dschungels um mich herum. Laute, die ich noch nie in meinem Leben gehört hatte. Ich war mitten drin im Zelt fühlt es sich an, als wäre es direkt neben mir, fast als würde ich dazu gehören und irgendwie halfen mit die Geschichten, die natürlich vollkommen romantisiert waren, aus meiner Kindheit, dass sich das ganze irgendwie vertraut und sicher anfühlte. Dennoch war ich froh, dass es noch zwei andere Menschen dort gab. Später begann der Regen gegen mein Zelt zu hämmern. Mein Zelt, das inzwischen leider nicht mehr ganz wasserdicht ist. Aber es war überlebbar.
Am nächsten Morgen wartete ich bis der schlimmste Regen vorbei war, obwohl ich einen sehr langen Tag vor mir hatte, denn entlang der Westküste schien es nicht wirklich ein Hotel zu geben, das in meiner Preisklasse lag. Allerdings ist nicht nur mein Zelt nicht mehr Wasserdicht, sondern auch meine Regenjacke war wahrscheinlich bis vor ca. 15 Jahren wasserdicht und ist es seither nicht mehr. Meine Regenhose war es nie. An diesem Morgen begegnete mir allerdings ein weiteres Phänomen von Japan, das mir des Öfteren passiert ist. Hatte ich mich am Vorabend noch angeregt mit den beiden Soldaten unterhalten, so herrschte am Morgen danach das grosse Schweigen. Ich frage mich ernsthaft, ob viele Männer hier einfach nicht gelernt haben sich ganz normal mit Frauen zu unterhalten.
Ich schwang mich also auf mein Velo und fuhr voller Elan los. Obwohl der Himmel nicht vollkommen blau war, so waren die Farben des Wassers schön. Ich machte einen Mittagshalt in Setouchi und beschloss dann wirklich bis nach Sangobeach zu fahren. Ich machte meine Reservation. Nun es galt es Ernst. Der Osten der Insel hatte viele Tunnels gehabt, im Westen waren diese rar. Ich hatte also 75 km mit 4000 Höhenmetern den Berg hoch vor mir. Der Kampf gegen die Schwerkraft begann.
Ein Aufstieg wollte und wollte nicht enden. Die Strasse wurde auch immer schmaler und es begann zu regnen. Zudem wurde es später und später. Aber die Stimmung war unglaublich. Es war wie ich es mir als Kind in den Büchern vorgestellt hatte. Durch den Regen begannen die Blätter der wundersamen Pflanzen um mich zu schillern. Überall her kamen unbekannte Geräusche. Ich war irgendwo zwischen vollkommener Faszination und einer gewissen Angst im Nacken, dass ich es nicht schaffen würde. Zwischendurch hätte ich mich am liebsten neben dem Strassenrand auf den Boden geworfen und geweint, wenn es so steil war, dass meine Muskeln zu berennen und schmerzen begannen und der Aufstieg dennoch nicht enden wollte. Aber es war keine Option. Dennoch fragte ich mich natürlich warum ich die körperlichen Grenzen immer so weit ausloten muss und ich glaube ich weiss warum: Erstens damit mein Kopf endlich mal aufhört zu denken. Dann ist da nur die Anstrengung nichts anderes. Zweitens Mache ich mir tatsächlich oft Gedanken ob etwas möglich ist und nicht im Detail wie und weil ich es immer wieder irgendwie schaffe, versuche ich es auch oft ohne mir davor gross Sorgen zu machen. Im Moment selber zerbreche ich mir dann doch oft den Kopf, wie ihr das hier vielleicht schon mitbekommen habt.
Seis drum, es war einfach intensiv und wunderschön. Wie ein Kindheitstraum der wahr geworden ist. Ich fragte mich auch nicht wirklich, ob dies nun meiner Vorstellung entsprach, die ich damals hatte (die Mangroven hatte ich mir zum Beispiel viel grösser vorgestellt). Es war nur eine Vorstellung, darum muss ich die auch nicht vergleichen.
Dennoch ein Rennen gegen die Zeit. Ich strampelte so schnell ich konnte fernab der Zivilisation, mitten in den Hügeln irgendwo im Dschungel. Die Motivation fürs strampeln war einfach, ich wollte keiner Habu in der Dunkelheit begegnen und musste Wärme generieren. Der Wald wurde lauter, es begann mehr und mehr zu regnen, sodass ich nach kürzester Zeit vollkommen durchnässt war. Nebelschwaden zogen auf. Meine Brille war beschlagen. Warum hatte ich bloss keine Linsen verwendet? Aber nun war es zu spät, keine Zeit und Wärme für Fotos oder Linsen, ich musste einfach so weit wie möglich kommen bevor die Dunkelheit herein brach. Ich verfuhr mich mehrfach, denn es regnete zu fest um das Telefon heraus zu holen und der Kompass alleine reichte hier tatsächlich nicht aus. Es gab zu viele Berge und Täler und Strassen, die nicht bezeichnet waren. Aber die Dämmerung kam unaufhaltsam, liess sich allerdings nur daran erkennen, dass es immer weniger Licht gab. Die dunklen Wolken und der Regen erlaubten keine Fernsicht. “Regenwald” halt, dachte ich mir. Ich erreichte endlich den höchsten Punkt, aber gleichzeitig kam sie unweigerlich, die Nacht. Jetzt weiss ich warum es fantastisch ist Reflektoren am Strassenrand zu haben, denn zwischenzeitlich sah ich rein gar nichts, obwohl mein Licht am Velo ausgezeichnet ist, doch gleichzeitig zur Dunkelheit kamen auch Nebelschaden auf, die das Licht in alle Richtungen zerstreuten und dadurch die Sichtweite auf ungefähr einen Meter reduzierten. Meine Brille hatte zudem grosse Regentropfen gesammelt. Immer wieder trocknete ich sie, aber wenige Sekunden später war die Sicht wieder eingeschränkt. Zum Glück gab es kein einziges anderes Fahrzeug. Das ist natürlich blöder wenn man von einer Schlange gebissen wird und niemand weiss wo man ist. Aber daran dachte ich gar nicht mehr. Ich brauchte so viel Konzentration um nicht in einem der zahlreichen Schlaglöcher zu landen.
Ich überlegte jemanden zu informieren, beschloss aber niemandem Sorgen zu bereiten, denn es war ja Winter und die Habu nicht sehr aktiv. Dafür kündigte sich tatsächlich gerade zu dem Zeitpunkt das Ende der Bremsklötze des Hinterrads an. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ich hatte Ersatzklötze dabei, allerdings würde ich die erst bei Tageslicht und mit zusätzlichem Werkzeug montieren können. Die Fahrt war auf eine schöne Art unheimlich. Ich fuhr unglaublich langsam, sodass ich auf Unvorhergesehenes reagieren konnte und schaffte es mich irgendwie auf der Strasse zu halten. Einmal ergriff direkt vor mir ein Tier die Flucht, allerdings konnte ich nicht erkennen was es genau war. Der Wald lebte auf jeden Fall und ich war irgendwie ein Teil davon. Komplett durchnässt, langsam am frieren und dennoch, unglaublich glücklich.
Irgend erreichte ich die grosse Ringstrasse am Meer wieder. Obwohl ich es davor genossen hatte, war ich heil froh darüber. Mein Velo und ich waren beide unversehrt zurück in der Zivilisation angekommen. Ich freute mich unglaublich über die Strassenlaternen, die den Weg säumten und die Tunnels, die es hier wieder gab. Gewisse Annehmlichkeiten der Zivilisation können schon unglaublich toll sein. Das relativiert dann die Lichtverschmutzung schon wieder ein bisschen.
Seit Anfang Dezember fahre ich mit dem Fahrrad von Kyoto nach Okinawa. Ich habe Schnee gesehen, war bis auf die Knochen nass, habe tolle Menschen getroffen, Besuch erhalten, gut gegessen und mich mit allem irgendwie versöhnt. Was für ein schöner Abschluss. Nun überspringe ich aber einige Dinge, denn ich möchte endlich nicht mehr über die Vergangenheit schreiben, sondern über die Gegenwart. Ich beginne also direkt jetzt in Amami, wo ich auf dem Bett meiner Unterkunft sitze und gerade die Kälte hereingebrochen ist.
Die ganze Reise rund um Hokkaido war vom dauernden Auf und Ab der Wellen begleitet, denn grösstenteils ging alles der Küste entlang. Es war auch sonst ein Auf und Ab wie es oft der Fall ist, wenn man reist wie ich es tu.
Vom paradiesischen Garten mit der wunderbaren Begegnung mit Herr und Frau Kimura, gings weiter an den Akan-ko (Ko heisst See), wo ich eine wunderschöne Wanderung voller Angst vor Bären machte und eine Nachtfahrt hatte, bei der ich nicht übertrieben über fünfzig Rehe sah, etwa zehn Füchse und zum Glück keinen einzigen Bär. Aber weil mir wirklich täglich mehrere Personen sagten, dass es Bären gibt und sie so gefährlich sind, musste ich zwischendurch mal meinen Bruder anrufen, der mich augenblicklich beruhigte.
Am Akan-ko machte ich mich auf die Spuren der Ainu (oder dessen, was Japan in der heutigen Zeit davon präsentiert) und war überrascht, dass die Totempfähle und die Muster sehr an die Indianer erinnerten, deren Geschichte ich als Kind rege verfolgt habe. Und es ist mir ein interessanter Gedanke gekommen. Egal welches Urvolk, wenn zu viele Menschen auf einmal aus einer anderen Kultur kamen, dann wurde das indigene unterdrückt und zum Teil vernichtet. Das heisst in keinster Weise, dass ich gegen Migration bin, ich habe gerade ein interessantes Podcast gehört zum Thema Migration als einziges Mittel gegen den Klimawandel. Einzelne Inselgruppen, die sehr tief liegen, gehen das bereits sehr strategisch an. Wenn wir das nicht tun, hm dann werden wir sehen… Auf jeden Fall war es interessant so viel Zeit zum Nachdenken zu haben und dies sind nur ein paar Gedanken, die mir im Ainu-Theater gekommen sind, während ein paar wie “Ainu” gekleidete Menschen Tänze vollführten und in tatsächlich einer imposanten Visualisierung einer rein projizierten Landschaft, Rituale vollführten und Sangen. Über die Ainu lernte ich leider nicht viel dabei.
Dies tat ich zusammen mit Shona, die ich nach einem kurzen Intermezzo alleine wieder traf. So ein wiedersehen ist einfach schön. Sie ist so eine spannende und mutige junge Frau. Also verweilte ich länger als geplant mit ihr – wie ich es oft zu tun pflege.
Danach musste ich allerdings einen Zug nehmen um zeitig nach Asahikawa zu kommen, denn dort hatte ich abgemacht. Das Zug nehmen mit Velo stellt man sich eigentlich einfach vor, aber es ist mein Alptraum geworden, denn man kann das Velo nicht einfach in den Zug reinschieben, sondern muss es auseinander Schrauben, in einen Sack verpacken und tragen. Schon alleine das Velo zu tragen ist bei den 15kg nicht so einfach, aber ich hatte ja noch das ganze Gepäck. Zelt, Büro, Kamera, Essen,.. Total wohl um die 35 kg mit dem Fahrrad zusammen. Ich trat wie verrückt in die Pedalen und war eine Stunde vor Zugabfahrt dort, leider darf man nicht vorher auf das Gleis, also musste ich als der Zug kam alles über eine Brücke hinüber tragen und merkte schnell, dass ich das nicht in einem Mal schaffe. Niemand half. Ich rannte also, kam noch rechtzeitig runter und da waren zwei Züge. Welcher ist es? Ich versuchte jemanden zu fragen. Keine Antwort. Ich fragte den Lockführer, aber des falschen Zugs. In dem Moment schlossen die anderen Türen und der einzige Regionalzug des Tages fuhr ohne mich ab.
Drei Stunden später noch ein Schnellzug. Ich brauchte ein neues Ticket und es war unklar ob mich der Zug überhaupt mich Velo mitnehmen würde. Vollkommen erschöpft legte ich mich auf die Bank und mir schossen erstmals die Tränen in die Augen. Ihr müsst euch vorstellen, dass ich davor währen zwei Wochen eigentlich jeden Tag mindestens 100km gefahren war und damit meine Kapazität eindeutig überschritten hatte. Die Ruhe war allerdings auch bald wieder zurück. Ich war einfach nur erschöpft. Mein Rücken schmerzte von tragen des Velos und ich fühlte mich so hilflos ohne die richtigen Worte um in so einer Situation um Hilfe zu bitten.
Ich liess das Velo stehen wo es war, kaufte, ein neues Ticket, fand einen Bankomat um Bargeld zu holen und dieses Mal ignorierte ich das mit dem Gleis einfach. Ich versuchte herauszufinden wo ich mit dem Velo einsteigen kann, aber natürlich konnte mir das niemand sagen. Aber ein nettes Paar half mir zumindest meine Kameratasche und mein Zelt zu tragen. Ich schaffte es in den Zug rein und brachte mein Velo ganz am Ende des Zugs unter. Ein älterer Herr sass drei Reihen davor und starrte mich so hasserfüllt er konnte an. Ich versuchte es zu ignorieren und setzte mich komplett erschöpft hin. Als der Kontrolleur kam, beklagte sich der Gast über mein Velo. Ich musste also das Velo durch den ganzen Zug hinter dem Kontrolleur hertragen. Am Ende fiel es mir einfach runter weil ich nicht mehr konnte. Meine Arme hatten keine Kraft mehr. Ich versuchte zu sagen, dass ich einfach eine kurze Pause brauchte, aber ich konnte mich nicht verständlich machen. Am Schluss war das Velo aber immerhin verstaut und ich war im Zug. Blieb nur noch übrig es irgendwo in Asahikawa aus dem Bahnhof raus zu schaffen. Man muss da immer alles bis zur Ticketschranke tragen und das kann sehr weit sein. Dieselbe nette Frau half mir nochmals. Es war geschafft! Aber ich spürte meinen Rücken noch zwei Wochen lang.
Asahikawa gefiel mir sogleich mit seiner grossen Fussgängerzone, die vom Bahnhof nach Norden führt. Viele kleine Kaffees und Läden, ein ganz schöner Kinderbuchladen. Eine fahrt dem Fluss entlang zu Masa’s Bauernhof folgte. Der Sonnenuntergang war wunderschön mit Bergglühen. Die ganzen Mühen, die Hilflosigkeit machten es vielleicht noch schöner. Das Auf und Ab halt.
Masa ist Biobauer und war mir auf Anhieb sympathisch, was mich aber auch nicht überraschte, denn ich kenne seinen Sohn und sein Sohn ist sehr, sehr cool. Ich konnte dort ein paar Tage verweilen, Energie tanken, meinen Artikel fertigstellen, seine Familie kennen lernen, ein kleines bisschen auf dem Feld helfen und das unglaublich gute Essen geniessen. Es war gerade Kartoffelernte und ich hatte endlich mal wieder richtig gute Kartoffeln. Manchmal fällt einem erst auf wie sehr einem etwas gefehlt hat, wenn man es plötzlich wieder hat. Auch hier gab es wieder gute Diskussionen. Warum erwähne ich das so oft? Weil mir das mitunter am meisten fehlt hier in Japan. Der Austausch von ungleichen Meinungen.
Auch Kengo war da. Ein sehr guter Freund von Masa und eigentlich der Grund warum ich überhaupt in Asahikawa gelandet bin, denn Kengo ist der Mann unserer ehemaligen Sekretärin in Kyoto. Einer der coolsten Personen, die ich in Japan kennen gelernt habe. An einem wunderbar heiteren Abend dieses Frühjahr in Kyoto hatte ich erwähnt, dass ich nach Hokkaido gehe im August und dann hat Kengo spontan beschlossen, dass wir uns ja dort treffen könnten. Ich weiss nicht, ob es von Anfang an ernst gemeint war, es klang in der ersten Sekunde eher wie ein Witz, wurde dann aber sehr schnell konkret. Masa’s Sohn war an diesem Abend auch dort. Er meinte das Haus seines Vaters würde mir gefallen und so war es. Es war einfach nur erfrischend und es ist schön so weit weg von zu Hause eine Familie zu habe.
See bei Furano.
Am dritten Tag kam auch Kiyo dazu. Von da an fuhren wir zehn Tage zusammen und ich kann einfach mal entspannen und im Windschatten fahren. Kiyo kümmert sich um die Navigation und meist auch darum wo wir übernachten werden. Ein paar beschauliche Tage sozusagen, mit Ausnahme eines Tages, an dem und Wind und Regen entgegen peitschen und wo wir beide bis auf die Knochen nass wurden. Mein persönliches Highlight ist dann Rebun, eine Insel ganz im Norden von Hokkaido. Ein wunderschöner Sonnenuntergang, danach der Vollmond und das unaufgeregt fernab der grossen Touristenpfade.
Sonnenuntergang in Rebun.
Als es wieder alleine weiter geht, merke ich den Unterschied frappant. Alleine kommen viel mehr Menschen auf mich zu. Das führt zu unglaublich positiven, als auch zu weniger positiven Begegnungen. Ganz besonders hat mir Hakodate gefallen. Von dort weg hatte ich mich wohl daran gewöhnt alleine zu sein, Shori half mir manchmal etwas zu reservieren und alles lief wie am Schnürchen.
Rebun.
Weitere Höhepunkte waren ein kleiner Tempel in den Bergen, wo ich all meine Höhenangst überwinden musste, um an grossen Metallringen, die über dem Abgrund schwangen und von denen ich nicht wusste wo sie überhaupt befestigt waren, senkrecht hoch zu klettern. Zum Glück kamen zwei alte Japaner. Einer war von Sacharin. Sie waren beiden 80 Jahre alt. Sie kamen jedes Jahr hierher. Eine solide dreistündigen Wanderung mit sehr starkem Gefäll. Selbst die Treppe zu beginn war die steilste Treppe die ich je gesehen hatte. Und bei jedem Gebet sagten sie danke, dass sie ein Jahr mehr hier hochklettern durften. Ich war zutiefst beeindruckt von den beiden.
Schöne Landschaft, gutes Essen, tolle Begegnungen von denen der krönende Abschluss der Besuch bei der Tante von Alice ist. Glücklich besteige ich die Fähre. Ein letzter atemberaubender Sonnenuntergang.
Graveyard of the butterflies (in Anlehnung an den Film von Ghibli, Graveyard of the fireflies). In den Tunnels lagen so viele tote Falter. Sie waren auch die einzige Lichtquelle entlang der Strasse.
In Oarai holt mich Shori ab und wir fahren in einem Tag die 170 km zurück nach Tokyo. Mit jedem Kilometer merke ich wie meine Brust enger wird. Ich bin einfach kein Grossstadtmensch. Um 4 Uhr morgens erreichte ich nach 2700km insgesamt um viele Erinnerungen reicher mein Bett.
Noboribetsu. Ich hatte noch etwas Zeit übrig und dieser Ort war überall beschriftet, ich hatte aber keine Ahnung wo das ist. Dann bin ich einfach mal den Berg hoch gefahren und plötzlich in dieser surrealen Landschaft gelandet.
Die Zeit verfliegt. Bald bin ich seit zwei Jahren in Japan. Ich kann mich inzwischen ein bisschen verständigen (Smalltalk), ich habe mich in vielen Dingen an die Kultur angepasst. Auch mit den Ferien, die ich genommen habe, sprich 1.5 Jahre lang hatte ich keine richtigen Ferien, obwohl ich eigentlich weiss, dass ich eine lange Pause pro Jahr brauche. Als ich dieses Frühjahr dann Abgabestress hatte, wollte ich mich voll reinhängen und es ging einfach nicht mehr. Nach zehn Stunden konzentriertem Arbeiten war ich einfach erschöpft. Das kannte ich so gar nicht. Ich wusste also, dass ich eine Pause brauchen würde und beschloss im August, während der Semesterferien mit dem Velo nach Hokkaido zu gehen.
Libelle auf Lotus.
1. August 2022: Da es schwierig ist in Japan das Velo in den Zug zu verladen, fuhr ich mit dem Velo über Sawara nach Oarai und habe von dort die Fähre nach Tomakomai bestiegen. Es war einer jener drückend heissen Tage diesen Sommer und ich dachte eigentlich, dass ich alleine fahren müsste, aber Shori – der Freund einer Freundin – entschloss mich zu begleiten und das war so cool. Ich musste sein Tempo ein bisschen drosseln, da ich nicht mit ihm mithalten konnte, aber es war ein sanfter Einstieg dazu um ein Monate (so dachte ich zumindest zu dem Zeitpunkt) alleine durch Hokkaido zu fahren.
Wasser kommt aus einer Brücke in Sawara.
Die Strecke war gut 190 km (da ich eine schöne und nicht eine nahe Route gewählt hatte). Ich teilte es in zwei Tage auf. Die Nacht verbrache ich in Sawara, einem wunderschönen kleinen Dorf, das vor allem Nachts seinen ganzen Charm ausspielte. Ein beleuchteter Kanal gesäumt mit traditionellen Häusern. Der zweite Tag war weit. Die Sonne knallte, die Fähre warum um 21:45 Uhr. Ich kam nur schleppend voran. Plötzlich kam mir in den Sinn, dass ich vielleicht deutlich früher einchecken muss mit dem Velo als die normalen Passagiere. Ich kontaktierte also gegen 16:45 Uhr (noch 30 km vom Hafen) Shori. Bis 17 Uhr sollte ich dort sein. Keine Chance!
Sawara in der Nacht.
Ich fuhr also so schnell ich konnte, hatte an dem Tag schon ca. 5 Liter getrunken, allerdings gab es keinen Laden und für einmal auch keinen Getränkeautomaten und meine eine Trinkflasche hatte ein Loch. Grossartig. Sprich ich kam wirklich an meine Grenzen, nur noch ein paar Tropfen Wasser übrig, unter der knallenden Sonne, mit Vollpackung, so schnell wie ich konnte in Richtung Fähre in Oarai wurde mir Zwischenzeitlich für den Bruchteil einer Sekunde Schwarz vor Augen. Ich evaluierte die Situation und beschloss, dass ich nicht vom Rad fallen würde und fuhr weiter. Um 17:54 checkte ich ein, um 18:15 Uhr wurde das Schiff beladen, die Velos voran, ich hatte es geschafft. Dieser ganze Sprint wäre allerdings gar nicht nötig gewesen, wenn ich früher verstanden hätte, dass mir ein Lastwagenfahrer angeboten hat mich mitzunehmen. Aber ich verstand erst als ich schon abgelehnt hatte und er gerade davon fuhr ohne mein Velo auf seiner leeren Ladefläche.
Bett auf der Fähre.
Auf dem Schiff kann ich das Gefühl kaum beschreiben. Ich fühlte mich so frei. Atme die frische Meerluft. Arbeitete noch ein bisschen, denn ich hatte einen Abgabetermin am 16. August, aber verbringe vor allem viel Zeit auf Deck. Genau genommen die halbe Nacht. Ein junger Japaner setzt sich neben mich. Schaut immer wieder zu mir rüber, bevor er mit mir zu reden beginnt. Er spricht nur Japanisch. Erzählt mir, dass er ein paar Tage frei hat und darum mit zwei Freunden nach Hokkaido fährt um gut Essen zu gehen. Er trägt normaler Weise Post aus und ich Mitte zwanzig. Mit ein paar Tipps für Restaurants und dem schönen Gefühl das Leben eines anderen Menschen gestreift zu haben, gehe ich ins Bett, das wie ein Kapsel Hotel ist.
Drei wollen in die gleiche Richtung. Einer wählt besser und geht im Gegenuhrzeigersinn. Nicht ich. 😉
Am nächsten Morgen lerne ich die drei anderen Fahrradreisenden auf dem Schiff kennen. Es scheint jeder Person zu wissen, dass ich mit dem Fahrrad unterwegs bin.* Ich dachte sie kennen sich alle, doch waren alle alleine unterwegs und Shona, Tomo und ich planten in dieselbe Richtung zu fahren. Das hiess meine Solotour wurde noch weniger Solo als gedacht. Wir schliefen in Parks, kämpften gemeinsam gegen den Wind und während die anderen beiden sich Abends ins Zelt legten, um zu schlafen, nahm ich meinen Laptop hervor und arbeitete, denn voll Ferien hatte ich nicht und wie erwähnt noch eine Abgabe im Nacken.
*Und hier ein kleines Intermezzo. Japaner*innen schauen einen selten an. Es scheint, als wären sie komplett desinteressiert an ihrer Umwelt, als würden sie nichts sehen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Es entgeht ihnen nie etwas. Ich weiss nicht wie sie das machen, aber ohne zu schauen sehen sie alles. Zum Beispiel unter ihren halb geschlossenen Augen hervor, die vorgeben zu schlafen.
Impression von Unterwegs.
Und warum nicht frei? Weil ich einmal mehr lernen musste, dass man als Frau alleine unterwegs nicht immer ganz frei ist. Alkohol trinken ist einfach immer gefährlich, also lasse ich es normaler Weise. Zudem schien wirklich jede Person den Drang zu haben mir zu sagen wie gefährlich es ist als Frau alleine zu reisen. Bilanz: Eine Unterkunft wies mich ab weil es für mich zu gefährlich ist als Frau alleine, da sich dort noch Bauarbeiter aufhielten. Ein anderer Velofahrer, der mein Nein erst akzeptierte als ich extrem deutlich wurde und ich echt langsam Angst hatte (er war eigentlich ganz süss davor, aber später sturzbetrunken), ein älterer Herr, der mir anbot mir die Toilette in den Büschen zu zeigen und ein anderer Hotelbesucher, der plötzlich mit einem Bier in meinem Zimmer stand. Er bot mir nett das Bier an und ich lehnte nach den vorherigen Erfahrungen klar und deutlich ab. Schade, vielleicht wollte er wirklich nur ein Bier trinken. Aber er machte nicht den Eindruck leider. Also lieber nicht darauf ankommen lassen.
Seis drum, die Landschaft war schön und die meisten Begegnungen waren wunderbar. Ich konnte Freunde von Freunden und Verwandte Besuchen und überall lernte ich spannende Menschen kennen, ass ausgezeichnetes Essen und hatte interessante Diskussionen. Und ich fand einen ganz speziellen Ort. Nach einer weiteren Hetzjagd auf dem Fahrrad, erreichte ich das Kimura Café mit einem Garten, der ein wahres Paradies ist und alles selbst gemacht, inklusive das Haus. Die Malerin des Garten, die ursprünglich Ölmalerei studiert hatte, erklärte mir, dass nun die Blumen ihre Farben sind und der Spaten ihr Pinsel. Und genau so sah es aus. Es kann allerdings nicht vollkommen in Bildern eingefangen werden, denn da war der Duft, das Brummen der Insekten und die unglaublichen Farben und manchmal streift einen sanft eine Pflanze. Das alles nach einer unendlich anstrengenden Velofahrt konnte ich eigentlich nur als kleines Paradies beschreiben.
Laut meinem Professor hier sollen die meisten Sakura Bäume Klone ein und desselben ursprünglichen Baums sein. Viele davon wurden anscheinend in der Edoperiode gepflanzt. Besonders entlang von Kanälen kann man manchmal Kilometerweise flanieren (oder in meinem Fall Velofahren) und sieht auf beiden Seiten des Kanals nur Sakura Bäume. Diese blühen allerdings nur ein paar Tage. Mankai (満開) ist ganz besonders, es bedeutet nämlich, dass mindestens 80% der Blüten geöffnet sind. Das ist noch kürzer.
Als würde es Sakura auf einen runterregnen. Beim Honmanji-Tempel in Kyoto.
Wir hatten einen Text im Japanischunterricht, der beschrieben hat, dass wenn Sakura blüht man einfach gehen und geniessen muss, denn es geht nur gerade zu diesem einen kurzen Zeitpunkt. Erst fand ich Sakura fast ein bisschen zu schön, zu lieblich, aber ich habe das jetzt oder nie dieses Jahr so richtig schätzen gelernt. Es macht selbst nicht so ganz spontane Menschen spontan. Alle scheinen etwas besser gelaunt und man verbringt viel Zeit einfach unter diesen Bäumen.
Nächtliche Beleuchtung im Kodaiji Tempel. Ja, das passiert, wenn man Blogeinträge erst Monate später vervollständigt.
Ich war wieder beruflich in Kyoto zu dem Zeitpunkt, allerdings hatte mir die Mutter eines Freundes Minuma Tanbo empfohlen. Das liegt in der Nähe von Tokyo, sprich als ich zurück kam, hatte die Blüte den Zenit schon überschritten. Genau genommen blieb mir noch ein Sonntag, um nach Minuma Tanbo zu fahren. Das Wetter sah nicht gerade optimal aus.
Der Park in Omiya, der ganz alte Kirschbäume hat.
Eigentlich wollte ein Freund mitkommen, aber natürlich schrieb er mir um 5 Uhr morgens, dass er doch nicht kommt. Nun, ich würde lügen, wenn ich überrascht gewesen wäre. Ich dachte nur, warum hat er nicht erst geschrieben, als ich schon auf dem Velo sass, denn wenn es regnet und man so ganz alleine den inneren Schweinehund überwinden muss, ist das nicht gerade leicht.
Eine coole Kombination. Zu dem Zeitpunkt war ich schon ziemlich nass.
Ich wälzte mich also noch etwas im Bett, verlor gut 2 Stunden, bis ich mir sagte, dass dies mein letztes Jahr in Japan ist und ich jetzt einfach los muss. Es regnete, war kalt und grau. Aber ich schwang mich in den Sattel und fuhr los.
Ca. 15 km fahre ich einfach ununterbrochen unter Kirschblüten.
Und ich sollte es auch nicht bereuen, obwohl der Regen echt an den Kräften zehrt. Aber nun lassen wir einfach die Bilder sprechen.
Mein Lieblingsblick. Alles in türkis und rosa.
Und hier kann man noch die Fliesswege des Wassers sehen.
Es ist mal wieder Nacht bis ich nach Hause komme.
Auf dem Weg zum Fussballtraining. Es muss nicht immer Meguro (da wo alle hingehen) sein. Genau genommen sind gefühlt entlang jedem Fluss Sakurabäume zu sehen.
Auf dem Heimweg von einer Freundin.
Das Foto ist entstanden weil ich das Klopapier, das unten an den Zweigen hing fotografieren wollte.
Auf der Suche nach Sakura gefundener Bambus.
Bambus mit Michi, einem der coolsten Japaner, die ich bisher kennen gelernt habe.
Gleich vorweg. Ich habe die Namen der beteiligten Personen geändert. Nicht, dass der Vorname reichen würde um Rückschlüsse zu ziehen, doch einfach um sicher zu gehen. Das mache ich des öfteren.
Welch wunderschöner Bambuswald bis man ein bisschen zu nahe an die Kante geht.
Beflügelt von meiner Tour auf den Fuji habe ich fast jedes Wochenende danach einen oder mehrere andere Berge bestiegen und das bei unglaublich schönem Herbstwetter. Oft zog ich mit Joshi los, den ich beim Abstieg vom Fuji getroffen hatte. Wir lachten viel zusammen, er konnte mir viel über die Vegetation beibringen, zeigte mir eine Pflanze, mit einem weissen Pulver in den Kapseln, die man als Make-up verwenden kann.
Auf dem Weg zum Kawaguchi-See, zur schönsten Wanderung, die ich wohl bisher in Japan gemacht habe.
Bei unserer zweiten Tour standen wir an einem wunderschönen Morgen noch vor Sonnenaufgang an der Küste in Izu, konnten aber von Toi (dem Ort) an dem sich unsere Unterkunft befand, Fuji nicht sehen. Noch 15 Minuten bis Sonnenaufgang. “Zeig die Karte… 3.6 km… das schaffen wir”. Wir schauten uns an und liefen wie vom Aff gebissen los. Die Kamera in der einen Hand, das Wechselobjektiv in der anderen nahm ich die Beine in die Hände und rannte so schnell ich konnte. Joshi joggte hinter mir her. Er war an dem Morgen anscheinend schon um 4 Uhr aufgestanden und 8 km rennen gegangen.
Für diesen Anblick waren wir gerannt.
Wir schafften es und der Anblick war umso schöner, da wir ihn uns verdient hatten.
Das alles nach einem herrlichen Regentag.
Zwei Wochen später war die nächste Tour geplant. Ziemlich ambitioniert, aber ich hatte endlich jemanden gefunden, auf den ich keine Rücksicht nehmen muss beim Planen weil ich davon ausgehen kann, dass wenn ich es schaffe er auch keine Probleme hat. Wir starteten also am Kawaguchiko (das ist einer der fünf Seen um den Fuji) und wanderten auf dem Grat via elf andere Gipfel bis zum Mitsutoge.
Zufall?
Da wir gerade den Bus verpasst hatten, liefen wir zusätzliche 6 km um zum Einstieg zur Wanderung zu kommen. Dort liess mich Joshi zwischen zwei Wegen wählen. Weil wir doch relativ spät dran waren, wählte ich nicht die ursprünglich geplante Route, sondern die Abkürzung. Dabei übersah ich allerdings, dass der Weg auf der Karte nicht ganz durchgezogen war. Sprich nach einer Stunde wandern wurde der Weg immer schwieriger zu finden, bis er ganz verschwand. Wir kletterten also mehre Stunden durchs durchs Unterholz, rutschten hin und wieder den Hang runter, kletterten über und unter umgefallenen Bäumen durch. Aber es war nicht so steil, dass es gefährlich gewesen wäre, also gingen wir weiter. Endlich hatte ich jemanden gefunden, der meine Abenteuerlust teilte und wo es einfach unkompliziert war. Obwohl (oder vielleicht?) weil wir nur bedingt die gleiche Sprache sprachen.
Erwischt beim Fotografieren der Herbstblätter. (von Joshi)
Dann fanden wir endlich zurück zu einer Schotterstrasse. Ja, in die andere Richtung hätten wir diesen Weg nie gewählt. Wir folgten der Strasse, endlich der richtige Weg, bis wir an einer Baustelle landeten, wo Hangrutschverbauungen gemacht wurden und alles gesperrt war. Grossartig, wieder durchs Gebüsch klettern, dieses Mal deutlich steiler. Wir verloren wohl nochmals eine Stunde, ehe wir endlich wieder einen gut ausgebauten Weg fanden, der uns sehr steil zur Gipfelroute brachte.
Der Weg.
Oben angekommen war der Ausblick überwältigend. Fuji mit 傘 (gesprochen kasa, Regenschirm), anscheinend etwas Spezielles, denn Joshi betonte immer wieder, dass er das auch zum ersten Mal sieht. Aber was ich inzwischen gelernt habe ist, dass es auch eine Art flirten ist, wenn Japaner übermässig betonen wie toll das ist. Ob Essen oder Aussicht oder was auch immer. Doch war es wirklich eine fantastische Tour, also gehe ich mal davon aus, dass es nur die Aussicht war. Auf dem ersten Gipfel trafen wir dann auch die erste und einzige Person auf der ganzen Route. Lange verweilen konnten wir allerdings nicht, denn es lagen noch 19 km vor uns bis zur Hütte, wo wir zu übernachten planten.
Einmal mehr Fuji und ich. (von Joshi)
Die Dämmerung kam ganz langsam, schleichend, wir konnten Fuji beobachten, wie er sich allmählich verfärbte und wie die ganzen Japanischen Alpen im Westen sich im Sonnenlicht und durch die Herbstblätter rot färbten. Es war einfach nur überwältigend schön und wurde noch schöner, als die Nacht kam. Fuji war dank des Schnees noch immer gut auszumachen. Ich versuchte Joshi beizubringen, dass er die Hütte, die er gebucht hatte, anrufen sollte. Er schien irritiert. Warum? “Weil man das in den Bergen einfach macht”, dachte ich, aber ich konnte es nicht wirklich kommunizieren. Er sagte später. Ich fragte also alle 30 Minuten nach, “jetzt?” Er rief nicht an und ich hätte einfach sagen sollen, gib mir die Nummer, aber ich habe es nicht getan, Telefonanrufe sind für mich hier immer noch ein Ding der Unmöglichkeit. Wie immer wollte ich nichts Falsches sagen. Andererseits wusste ich, dass der Hüttenbesitzer Joshis Nummer hatte, denn er hatte zuvor einmal angerufen, sprich wenn er sich wirklich Sorgen machte, dann konnte er uns kontaktieren. Ich beruhigte mich also und schlug zur Sicherheit dennoch ein hohes Tempo an. Der Weg war auch ausgezeichnet.
Stellt euch vor die Realität ist tausend Mal schöner als das Bild.
Bald liefen wir im Schein unserer Taschenlampen. Ich konnte das Tempo angeben und ging bis absolut an mein Limit. So sehr, dass ich ab dem drittletzten Aufstieg echt nicht sicher war, ob Joshi nun auch an seiner Grenze war. Aber wenns darauf ankommt, dann kann ich immer ungeahnte Kräfte mobilisieren, das weiss ich inzwischen.
Immer und immer wieder sahen wir Fuji von einer leicht anderen Seite.
Manchmal verweilten wir kurz und ich staunte einfach nur über den Anblick. Die Sterne, der Mond, Fuji, die Japanischen Alpen und ganz alleine, alles so unendlich ruhig, zwischendurch das Lichtermeer und ich war so froh zu zweit zu sein und nicht alleine, denn all die Ängste, die ich alleine ausgestanden hatte, waren zu zweit inexistent. Manchmal schwiegen wir, manchmal redeten und lachten wir und immer setzten wir einen Fuss vor den anderen. So schnell es irgendwie ging.
Der Gipfelweg.
Als es dann darum ging entweder auf dem Gipfelweg weiter zu gehen oder eine “Abkürzung” zu nehmen, machte ich ganz eindeutig klar, dass die Abkürzung keine Option ist. Der Gipfelweg war sicher, aber die Wege ins Tal waren extrem steil. Da liess ich nicht mit mir diskutieren. Im Schein der Taschenlampen wollte ich kein Risiko eingehen. Ich war in dieser Gegend schon einmal gewandert.
Nachtwandern. Im meinen Augen das absolut schönste und der Weg war so gut, dass es auch relativ sicher war.
Irgendwann gegen 21:30 hatte ich Joshi dann endlich so weit, dass er anrief und da stellte sich heraus, dass er eben keinen Empfang hatte. Er nahm also mein Telefon, aber niemand antwortete. Die letzten 45 Minuten waren richtig hart. Ich war wirklich hungrig (und Joshi musste noch hungriger sein, denn er ass meist nur Abendessen – sprich er hatte an dem Tag noch nichts gegeseen) und ich hoffte inständig, dass der Hüttenwart noch Essen für uns hatte. Ich hatte zwar noch ein bisschen Reserven, aber ein richtiges Essen ist in so einer Situation das Grösste.
Dafür läuft man hier an einem schönen Wochenende hoch.
Es gab noch Essen, aber der Wirt war so richtig unangenehm wütend, hatte seinen Sohn los gesendet, um uns zu suchen und 15 Minuten zuvor die Polizei informiert und liess das alles an Joshi aus. Er erklärte ihm wieder und wieder wie verantwortungslos das war. Dabei hatte er es gewiss nach dem ersten Mal schon kapiert. Joshi, hatte allerdings keinen Anruf vom Wirt auf dem Telefon. Ich fand das daher ziemlich unfair, aber hielt schön brav meinen Mund. Ich konnte alles nur schlimmer machen. Dabei hatte ich ziemliche Schuldgefühle, denn ich hatte es eigentlich gewusst, aber mal wieder meinem Gefühl nicht genug vertraut um wirklich energisch zu werden. War zu ängstlich Joshi vor den Kopf zu stossen. Aber eigentlich war ich schon ziemlich energisch, ich konnte es einfach nicht auf Japanisch ausdrücken. Also hätte ich es mit Zeichensprache machen sollen. Joshi meinte später der Wirt sei nett gewesen, aber ich hatte nicht diesen Eindruck. Wahrscheinlich auch weil es eben nicht direkt gegen mich gerichtet war, sondern gegen ihn und aus der Beobachterwarte war das wirklich nicht nett und vor allem nicht konstruktiv. Mir gegenüber verhielt sich der der Wirt neutral, bis ich mich entschuldigte, dann bekam ich eine ganze Ladung Passiv-Aggressivität zu spüren.
Sonnenaufgang.
Joshi hatte tatsächlich nach dem Donnerwetter noch den Nerv nach separaten Zimmern zu fragen, als uns der Wirt gemeinsam in einem Zimmer unterbringen wollte. Aber ich liess ihn gewähren, da ich schon verstanden habe, dass die Interaktion in Japan zwischen Männern und Frauen einfach anders ist und ein Zimmer zu teilen wohl schon eine gewisse Bedeutung gehabt hätte.
Mitsutoge und die Japanischen Alpen im Morgenlicht.
Am nächsten Morgen erwartete uns ein unglaublich schöner Sonnenaufgang mit sternklarer Sicht. Wir lachten wieder und die Welt schien in Ordnung. Der Abstieg war heiter, wir kauften noch Gemüse bei einem Bauern ein und Joshi brachte mich zum Bahnhof. Via Übersetzer sagte ich noch, dass mir die Situation vom Vortag Leid tun würde und er winkte ab. Etwas zu schnell für meinen Geschmack. Wenn negative Dinge nicht ausgesprochen werden, dann sind sie nie passiert. So kommt es mir hier oft vor.
Ja der Herbst, die schönste Jahreszeit für mich in Japan.
Wir sagten tschüss. Am nächsten Tag hatte er mir seine Fotos hochgeladen und eigentlich hatte er mir noch versprochen die Details der Route zu senden. Ich fragte nach und hatte er bisher immer sogleich geantwortet, so kamen die Antworten nun schleppend. Und ich wusste genau was nun kommen würde. Das was Japaner immer machen. Einfach den Kontakt abbrechen. Ich werde nie erfahren warum. So sitze ich hier und weine während ich das schreibe. Darum hat dieser Post wohl auch so lange gedauert weil ich wohl noch nicht bereit dazu war. Ich kann es nicht verstehen. Es ist als würde einem regelmässig Leute einfach wegsterben. Nur dass sie noch leben. Aber von einem Tag auf den nächsten hört man nie mehr etwas und wird nie erfahren warum. Lag es an der Situation in den Bergen, Schuldgefühle, Scham, hatte er sich verliebt und mein klares “nein” auf die Frage, ob ich in Japan bleiben würde nicht gut aufgenommen, hatte ich ganz zu Beginn doch richtig verstanden und er hat eine Freundin oder hatte ich irgendetwas komplett Falsches gesagt, dessen ich mir nicht einmal bewusst bin? Wie gesagt ich werde es nie erfahren und ich versuche – mit bedingtem Erfolg – mir auch nicht ewig darüber den Kopf zu zerbrechen.
Die letzten Meter der Wanderung. Diesen Pfad hatte ich auf einer früheren Wanderung gesehen und wollte darum im Herbst zum Mitsutoge zurück.
Wisst ihr das Schlimme daran ist, dass ich Joshi für einen herzensguten Menschen halte. Ich denke tatsächlich, dass er irgendeinen Grund hatte und er einfach gelernt hat, dass das Beste ist, wenn man sich dann einfach aus dem Staub macht. Aber mich macht das kaputt. Es ist als würde hier Freundschaft nicht existieren. Das durfte ich im letzten Jahr wieder und wieder erleben. Vielleicht liegt es an Covid-19, ich hoffe es wirklich inständig aber die Aussage einer älteren Amerikanerin gestern, die seit 27 Jahren hier lebt hat mich nicht optimistischer gestimmt. Ohne dass ich irgendetwas erzählt habe meinte sie “Die Japaner, eines Tages verschwinden sie einfach aus deinem Leben.” Und wenn man ein Mensch ist, der es anders machen würde aber hier aufwächst, dann macht man diese Erfahrung eine gewisse Anzahl Male und beginnt dann selbst damit, denn ich glaube nicht, dass es an irgendjemandem spurlos vorbei geht, wenn man im Laufmeter geghosted wird. Meine Theorie ist, dass hier die einzige Möglichkeit ist, wenn man eine wunderbare, liebende Familie hat. Und in dieser dann die emotionale Sicherheit findet und von ein paar Freunden aus früher Kindheit. Später tiefe Bindungen zu bilden scheint schwierig. Die grosse Ausnahme in meiner Erfahrung bilden einige jener Studierenden, die in Kumano waren (dem Studentenwohnheim in dem ich in Kyoto war). Bisher habe ich dort am meisten Personen kennen gelernt auf die ich wirklich zählen konnte. Aber ich lege meine Hand nicht mehr komplett dafür ins Feuer. Nicht in diesen Zeiten, nicht nach allem, was ich im letzten Jahr bezüglich Freundschaft erfahren musste. Spannend aber auch dass dem gegenüber im tiefen Kontrast meine Freunden in Europa und dem Rest der Welt stehen, auf die so unendlich viel Verlass ist, dass ich es kaum glauben kann. Selbst aus der Distanz.
Spaziergang an einem regnerischen Sonntag durch Uji mit Beer. Ja, was würde ich hier ohne Beer machen?
Ich hoffe inständig, dass das nicht mit den wenigen Menschen, die mir hier noch wirklich etwas bedeuten passiert. Aber inzwischen weiss ich leider: Man kann noch so sehr denken, dass es mit dieser Person nicht passiert, man wird doch eines Besseren belehrt. Nun kann ich in zwei Richtungen gehen. Das was ich als erstes versucht habe ist bei jedem Wort darauf acht zu geben ja nichts Falsches zu sagen. Das hat vielleicht sogar zum Bruch mit Joshi geführt und sicher einige irritiert weil ich dadurch sehr unsicher gewirkt habe. Nun habe ich allerdings die Richtung gewechselt. Ich bin einfach mich selber. Das ist alles was ich tun kann. Es erwarten sowieso alle hier, dass ich anders bin. Also kann ich es auch sein. Zudem habe ich mich dagegen entschieden einfach eine emotionale Mauer aufzubauen, sondern versuche weiterhin offen auf die Menschen hier zuzugehen. Einfach ohne jegliche Erwartungen. Aber ich überlege immer öfters nach Hause zurück zu kehren. Ich bin nicht für diese Gefühlskälte gemacht. Auch wenn ich sie rational nachvollziehen kann, so verletzt es mich zu sehr und ich mache mir ernsthaft Sorgen, dass das Erlebte meine Fähigkeit anderen Menschen zu vertrauen längerfristig beeinträchtigen könnte. Denn dies war nur ein Beispiel von vielen.
Melancholisches Bild zum Abschluss.
Allerdings, da ich ungern mit etwas Deprimierendem aufhöre, muss ich auch erwähnen, dass ich am vergangenen Wochenende gelernt habe selber Miso-Paste zu machen. Das war mit der Mutter eines Freundes und einer Freundin (Aya) von mir. Wir hatten einfach Spass. Danach haben wir das wunderbare Essen unser Gastgeberin genossen und vielleicht gerade weil ich so mitten im Hadern bin, wird so eine schöne Erfahrung umso intensiver. Schon nur mit den Händen in dieser Masse herumzukneten war toll und dann wusste unsere Gastgeberin so viel und Aya konnte alles übersetzen und ist sowieso eine der coolsten Japanerinnen ausserhalb von Kumano, die ich kennen lernen durfte und es war einfach nur ein wunderschöner Tag. Ich werde versuchen das Rezept in den nächsten Tage zu Posten.
Reiher am Ufer des Kamogawa, meinem Zufluchtsort in Kyoto.
Spannend ist auch, dass die meisten Ausländer hier davon sprechen, dass man durch Wellen hindurch geht in Japan. Wobei meine Welle gerade an einem relativ tiefen Punkt oszilliert. Sprich es sollte hoffentlich irgendwann wieder rauf gehen. Ich kann also noch auf einen versöhnlicheren Abschluss hoffen.
In letzter Zeit habe ich oft über Angst nachgedacht. Wenn ich Angst vor etwas habe, dann frage ich, ob es mein Leben direkt gefährdet oder Langzeitfolgen für meine Gesundheit hat und wenn ich beides mit nein beantworten kann, dann tu ich es zum Trotz. Weil nur wenn ich der Angst begegne dann kann ich sie bewältigen. Darum reise ich wohl wie ich reise. Immer auf der Suche nach der Herausforderung. Ich bin aber eigentlich alles andere als mutig. Oft sitze ich da und habe ein richtig mulmiges Gefühl im Magen, frage mich warum ich mir das antu.
Der Blick auf Fuji von Kintoki. Ich würde mal behaupten, dass Covid-bedingt immer noch relativ wenige Menschen da waren.
So auch geschehen vergangenes Wochenende. Die grossen Touristenorte sind selten mein Ziel, aber ich wollte Fuji, den höchsten Berg Japans, erklimmen während ich in Tokyo wohne. Fuji ist irgendwie speziell, denn man sieht ihn von so vielen Orten, wie er sich majestätisch von den Ebenen rundherum abhebt. Ganz alleine und mächtig. Allerdings habe ich gelesen, dass man da im Sommer manchmal Schlange steht beim Erreichen des Gipfels. Im Sommer zu gehen stand daher ausser Frage. Also war ich froh, als ich Blogs gefunden habe, die von Besteigungen ausserhalb der Saison berichteten. Seit die offizielle Saison am 10. September vorbei war, lauerte ich also auf gutes Wetter.
Auf dem Weg zum Start.
Nun der Nachteil von ausserhalb der Saison ist, dass alle Hütten geschlossen sind und nicht wirklich ein Bus irgendwo hin fährt und zelten unterwegs verboten ist, sprich wenn ich von Fuji-san-Bahnhof zum Gipfel gehen wollte, dann sind das 18 km mit 2900 Höhenmetern. Dann 1 km dem Krater entlang und danach wieder 2400 Höhenmeter runter über 14 km gezogen bis zur nächsten Bushaltestelle (wenn man diesen Weg denn gekannt hätte) oder 3250 Höhenmeter auf 24 km runter bis zum nächsten Bahnhof. Um das ohne Übernachtung zu schaffen, musste ich um 21:00 Uhr Abends starten und eine Freinacht in Kauf nehmen. Ich glaubte daran, dass ich das schaffen kann, aber ganz sicher war ich mir nicht. Entsprechend stieg die Nervosität ein Tag vor dem geplanten Datum deutlich an. Das veranlasste mich dazu diese Wanderung für meine Verhältnisse akribisch zu planen. Mit Bernhard (meinem Vater) beriet ich mich wie viel Wasser (ich entschied mich für 3 Liter und begann bereits zwei Tage davor meinen Körper zu Hydrieren und zu Carboloading zu betreiben) und wie viel von welcher Art Nahrung ich brauchen würde. Er verglich mein Vorhaben mit einem Ironman ohne irgendwelchen Support. Ich schmunzelte erst, wurde mir dann aber bewusst, dass die 16 Stunden Laufzeit schon in Richtung eines solchen Vorhabens gingen.
Der Plan.
Vergangenes Wochenende war der Wetterbericht endlich gut und das noch bevor der Schnee einsetzte. Es wurde ernst. Alleine, mitten in der Nacht und ich wusste nicht worauf ich mich einlasse. Der Vorteil man hat von überall Empfang mit dem Natel, sprich ich würde Hilfe rufen können. Ich nahm also ein Schlafsack mit, falls ich in der Kälte auf Rettung warten müssen würde.
Packliste plus noch deutlich mehr Wasser und etwas Essen. Der leere Fleck in der Mitte ist die Kamera, die natürlich nicht fehlen darf. Ein Buch über “Nonelinear Dynamics und Chaos” natürlich auch nicht…
Um 18:30 Uhr kam ich in Fuji-san (Dorf) an. Ich kaufte mir noch eine Karte und suchte nach einem Restaurant. Das Einzige, das sicher keiner Kette angehörte und geöffnet war, war ein Sushi-Restaurant mit zwei unglaublich netten Besitzern. Ich konnte nochmals mein Natel aufladen, ass mich richtig satt und beantwortete die neugierigen Fragen. Sie warnten mich vor der Kälte, schienen für japanische Verhältnisse nur normal besorgt. Das liess mich etwas aufatmen. Zum Schluss gab mit die Besitzerin noch Bananen mit auf den Weg. Ich freue mich unglaublich über die Geste. Das war genau wie ich Japan vor Jahren kennen gelernt hatte.
Alles ist wie ausgestorben. Nur der Wind weht ganz leicht.
Ich kaufte noch ein paar letzte Sachen in einem der Konbini (=convenience store) und machte mich auf den Weg. Es war dunkel, die Luft noch relativ warm. Ich beschloss die Stirnlampe erstmals in der Tasche zu lassen. Der Einstieg war schnell gefunden. Er führte an einem Tempel vorbei zum Yoshida-Trail. Die steinernen Laternen warfen lange Schatten vom Licht der nahen Strassenlampen. Ein Vorgeschmack auf die nächsten acht Stunden wandern durch die Dunkelheit.
Der Einstieg zum Yoshidatrail führt über einen Tempel oder Schrein. Ich weiss den Unterschied hier nie.
Bald war das Licht weg. Ich gewöhnte meine Augen an die Dunkelheit und wanderte durch den nächtlichen Wald. Ein flaues Gefühl im Magen und plötzlich der Gedanke: “Was wenn es hier Bären gibt?” Das flaue Gefühl wurde zu einer Angst, die mich umklammern sollte, bis ich die Grenze des Waldes erreicht hatte, sprich die kommenden sechs Stunden. Als ich nach ungefähr einer Stunde laufen durch die komplette Dunkelheit die Strasse verliess, nahm ich meine Stirnlampe in Betrieb, die ich nicht mehr ausschalten würde, bis ich die Baumgrenze erreicht hatte. Alle 30 Minuten sandte ich zudem meine Koordinaten an meinen Vater. Dazwischen lief ich, immer das Mantra im Kopf “es ist alles gut, du hast nur etwas Angst, aber Bären mögen kein Licht, es ist nicht Frühling und nicht Dämmerung.” Und irgendwann konnte ich über meine Angst lachen und als ich darüber lachen konnte, verflog sie. Sie kam allerdings jedes Mal zurück, wenn sich im Busch neben mir plötzlich etwas bewegte oder ich ein anderes seltsames Geräusch durch die Nacht hallte. Was es jeweils war weiss ich nicht. Zum Glück hatte ich das mit den Spinnweben im Gesicht wenigstens schon auf Shikinejima trainiert. Das kümmerte mich nur bedingt.
Schön wenn die verbleibende Laufzeit zum Gipfel als fast 598 Minuten angegeben wird und das wohl bei Tageslicht.
Nach fünf Stunden hörte ich einen Generator und sah Licht. Ein Zelt mit Schuhen davor stand da und weiter oben war eine Herberge, die tatsächlich noch geöffnet war (die Station 6). Ich freute mich über die Toilette, allerdings gab es schlechte Nachrichten. Der Weg war verbarrikadiert. Geschlossen seit dem 10. September. Das schreiben sie nach 6 Stunden Weg? Aber wahrscheinlich läuft das ausser mir wirklich niemand. Die Frage war nun war der Weg geschlossen weil es gefährlich oder einfach weil es Japan ist? Nur wie findet man das um 3 Uhr morgens heraus. Die Person im Zelt konnte ich schlecht wecken und sonst war niemand da. Ich beschloss mich erstmals hin zu setzen und etwas zu essen und zu trinken. Mein Berater via Telefon riet mir davon ab weiter zu gehen, aber aufgeben war noch nie meine Stärke. Das Wetter war gut, ich war vorbereitet und hatte deutlich mehr Respekt davor nochmals durch den dunklen Wald zu gehen, als auf die Spitze des Berges. Die Konditionen waren optimal. Bevor ich mir weiter den Kopf darüber zerbrechen konnte, kam eine Gruppe aus der Herberge. Ich beobachtete sie eine Weile, dann fragte ich einen von ihnen nach dem Weg.
Endlich mal nicht nur dunkler Wald im Kegel einer fahl schimmernden Stirnlampe.
Er sprach bloss Japanisch, aber inzwischen verstehe ich schon etwas mehr. So konnte ich heraus finden, dass sie mit sechs Personen am Vortag den Fuji überquert hatten. Sie hatten meinte Route in der Gegenrichtung genommen. Es war komplett problemlos, allerdings ist es auf eigene Verantwortung. Eifrig zeigte er mir, wie ich an der Absperrung vorbei kam, dann ging es richtig los. Die Bäume wurden kürzer, der Weg steiniger (aber nicht steiler und er war immer noch 1.5 Meter breit) und meine Angst schwand. Ich hatte Personen getroffen, die den Weg zurückgelegt hatten und allgemein auf Menschen zu treffen kann in so einer Situation unglaublich erleichternd sein.
Alle berichten vom Sonnenaufgang auf dem Fuji, aber für mich war die Dunkelheit, der Mond, die Sterne und all die Lichter im Tal der schönste Teil, als ich endlich die Baumgrenze erreicht hatte. Freiheit, Stille und ein gewaltiger, dunkler Berg direkt zu meiner Rechten. Ich fühlte mich geborgen.
Dann erreichte ich die Baumgrenze, sah die dünne Mondsichel und all die Sterne über mir. Im Flachland um den Fuji herum war ein Lichtermeer zu sehen, das teils durch die Wolken funkelte, teils offen da lag. Neben mir erhob sich mächtig der Fuji-san. Es war atemberaubend. Ich fühlte mich frei und bereit den Berg zu erklimmen. Hier war ich in meinem Element. Genau darum tu ich mir die das an. Wegen solchen Momentes des absoluten Glücks und der Freiheit. Ich frage mich wie weit sich das durch die Angst davor noch verstärkte.
Einsetzen der Dämmerung.
Inzwischen war es vier Uhr morgens, etwas frisch, aber nur kalt wenn ich verweilte. Also ging ich mit Ausnahme von ein paar Fotostops einfach weiter und weiter. Die Dämmerung begann und ich konnte all die Verbauungen ausmachen, die gegen Steinschlag installiert wurden und das waren einige. Während eines Erdbebens wollte ich mich trotzdem nicht in diesem Hang befinden.
Wahrscheinlich Wassertanks für die Hütten und Verbauungen, die ausser direkt aus der Nähe kaum wahrgenommen werden. Aber der ganze Weg ist umgeben davon.
Nur vier Tage später erscheint das auf meinem Bildschirm und zwar gleichzeitig mit heftigem Beben der Erde. Manchmal braucht man Glück oder zumindest kein Pech.
Irgendwann ging die Sonne auf. Ich war nicht auf dem Gipfel, aber ehrlich gesagt spielte das überhaupt keine Rolle. Für Fotos ist es unterwegs sogar interessanter. Vom Gipfel sieht man einfach einen flachen Horizont in der Ferne. Zudem konnte ich wie geplant das steilste Stück bei Tageslicht zurücklegen. Davor traf ich aber noch einen älteren Japaner. Seit Covid kam er öfters hier wandern, plante aber nicht zum Gipfel vorzustossen und war mit dem Auto bis zur fünften Station gefahren. Wir liefen eine Weile gemeinsam, dann trennten sich unsere Wege, ohne dass ich seinen Namen erfahren hätte wieder. Dennoch in der Einsamkeit eine schöne, flüchtige Begegnung.
Sonnenaufgang am Fuji.
Kurz vor dem Gipfel sah ich wie es aussieht, wenn in Japan ein Gebiet wirklich gesperrt ist. Auf wenigen Quadratmetern war ein dichter Wald aus Schildern, die verboten den Weg zu verlassen. Es macht Sinn, denn der Steinschlag wäre vorprogrammiert.
Ausblick von einer weiteren Zwischenstation.
Dann der Gipfel. Es ist 9 Uhr morgens, zwölft Stunden nachdem ich losgelaufen war. Ich beginne zu husten. Covid, schiesst es mir durch den Kopf, der Grund warum ich oft über Angst nachgedacht habe in letzter Zeit. Kann es sein, dass es Vulkangase gibt hier oben? Ich reagiere immer empfindlich auf solche Dinge. Ich verweilte auf jeden Fall nicht lange, spazierte um den Krater herum und fand den Abstieg auf der anderen Seite natürlich wieder gesperrt. Ich überprüfte also auf meinen drei Karten, ob dies wirklich der Weg nach Gotenba war, verifizierte noch mit Fabian, denn ich wusste, dass die andere Gruppe aus Gotenba gekommen war. Dann ignorierte ich die Sperrung und machte mit an den Abstieg durch die Wüste aus Lavasand.
Vorboten des Herbsts.
In rund drei Stunden war ich unten bei der 5ten Station (das ist da wo sonst der Bus fährt). Meine Knie schmerzten, darum war ich auch einen grossen Teil der Strecke gerannt. Aber ich hätte Stöcke mitnehmen sollen. Im Nachhinein ist man immer klüger.
Der Krater.
Gut getarnte Häuser auf dem Gipfel.
Der Blick von ganz oben.
Unterwegs traf ich noch eine weitere Person. Er kämpfte sich in Halbschuhen durch den Sand. Immer einen Schritt hoch, um dann wieder einen halben Schritt nach unten zu rutschen. Wir grüssten uns. Kurz bevor ich unten angekommen war, rannte er wieder an mir vorbei. Unten angekommen sass er da und reinigte sich gründlich. Sehr Japanisch. Sein Name war Joji und er half mir netter Weise dabei die nächste Bushaltestelle zu finden. Rief sogar noch jemanden an, um nachzufragen. So verstand ich es zumindest, denn er sprach ausschliesslich Japanisch und meine Trefferquote bei Gesprächen liegt immer noch weit unter hundert Prozent. Seis drum irgendwann nach 15 Uhr fuhr 7 km von der 5ten Station ein Bus. Das war besser als nach Gotenba zu laufen.
Der Abstieg ist karg und ich bin vollkommen mit Staub überdeckt, wenn ich durch den Sand schlittere.
Es geht einfach ziemlich steil auf einer Piste durch den Sand pfeilgerade runter, während sich der Weg hoch durch den Sand schlängelt.
Die 7 km sollten sich allerdings unendlich in die Länge ziehen. Meine Muskeln waren zwar noch in Ordnung, meine Füsse schmerzten aber fast so fest wie als ich den Fuss gebrochen hatte. Zum Schluss hin schossen mir bei jede Schritt fast die Tränen ins Gesicht. Aber Autostop ist wegen Covid fast unmöglich und irgendwie gehört es halt dazu wenn man so etwas macht. 14:58 Uhr war ich an der Bushaltestelle, aber der Bus war bereits um 14:45 Uhr gefahren. Von hier waren es ca. 14 km bis zum Bahnhof, das würde ich nicht mehr schaffen. Ich nötigte also einen alten Japaner, der gerade zu seinem geparkten Auto ging, mich mitzunehmen. Zum Glück klappte es.
Schattenspiele beim Abstieg.
So schaffte ich es mit etwas Glück sogar noch auf einen früheren Zug. Ich lief zum vordersten Wagen, der sozusagen leer war, denn ich wollte keine Geruchsbelästigung für meine Mitfahrenden sein und wer sass da: Joji. Das wurden meine ersten zwei Stunden, die ich ohne Unterbruch Japanisch sprach. Ein weiterer Durchbruch.
Spinnenweben in Asakusa.
Der Ausflug hat mich auf jeden Fall beflügelt. Ich weiss nicht genau was daran. Das Überwinden der Angst, die Einsamkeit, das mich lebendig Fühlen, die geschaffte Herausforderung? Wahrscheinlich alles zusammen. Egal was es ist, ich geniesse den Zustand.
Als ich 2019 drei Monate in Kyoto lebte, sagte ich, dass ich ganz froh bin vor den Olympischen Spielen in Tokyo in Japan gelebt zu haben, denn ich war mir ziemlich sicher, dass dadurch eine Gentrifizierung stattfinden könnte. In Kürze: Das ist nicht passiert. Ich war in Tokyo, es fanden Olympische Spiele statt und ausser, dass ich in der richtigen Zeitzone gelebt habe, um die Veranstaltungen zu verfolgen, habe ich davon nichts gemerkt.
Sogenanntes “shaved ice”. Wie ihr euch bestimmt vorstellen könnt war danach mein Magen leicht unterkühlt. Genau genommen ist das aber einfach von einem grossen Block abgeschabtes Eis, das mit einer Erdbeersauce bedeckt wurde. (Foto: Yoshiroh)
Stattdessen machte ich zusammen mit Fabian (dem zweiten JSPS Postdoc) einen Ausflug nach Shikinejima, Niijima und Oshima. Das sind drei Inseln, die noch zu Tokyo gehören. Ein kleines Paradies gleich vor der Haustür. Wir konnten mit der Fähre über Nacht anreisen.
Während Fabian nicht so viel geschlafen hat und davor Fuji bei Sonnenaufgang bestaunen durfte, habe ich davon so rein gar nichts mitbekommen.
Zelten war allerdings untersagt wegen Covid-19, denn der State of Emergency wurde in Tokyo verlängert. Natürlich kam auch ich da nicht um den Gedanken herum, dass dies nun an den Olympischen Spielen liegen könnte. Denn kaum war er endlich vorbei, begann er auch gleich wieder. Seis drum, wir fanden ein schönes Minshuku (民宿 – eine Pension) auf Shikinejima und genossen das Meer…
Ich in einer natürlichen heissen Quelle bei Vollmond. (Foto: Fabian)
… und die natürlichen heissen Quellen.
Eine zweite heisse Quelle. Das vermischen mit dem Meerwasser führt zu einer ertragbaren Temperatur.
Wasserpumpe.
Es waren zwei Ferientage. Der Tag des Meeres und der Gesundheits- und Sporttag. Wir liefen also einmal quer über die Insel, ich kämpfte mich mit einem Stock durch Spinnenweben, während mir Fabian dicht auf den Fersen war. Das ging für zwei Nächte gut, bis wir nach Oshima kamen. Auch hier galt das generelle Campingverbot und weil diese Ferientage waren, wo gefühlt halb Tokyo auf den Beinen ist, waren restlos alle Hotels auf der Insel ausgebucht.
Coole Raupe.
Und dies kann wahrscheinlich tatsächlich nur in Japan passieren, denn wir hatten auf der Touristeninformation nach einer Liste von Hotels gefragt und sie hat uns angeboten für uns anzurufen. Wir haben dankend angenommen und wurde danach Zeugen davon, wie eine unglaublich herzliche Frau mit immer einer Priese Humor alle Hotels der Insel anrief und jedes Mal kam am Ende heraus, dass schon alles ausgebucht ist. Ich hatte durchaus ein leicht schlechtes Gewissen, dass mal wieder jemand meine Spontanität ausbaden musste.
Für den Sonnenaufgang einmal quer über die Insel gerannt.
Wir überlegten sie zu unterbrechen, aber wenn wir das getan und gesagt hätten, dass wir schon eine Lösung finden, dann hätten wir die ganze zuvor geleistete Arbeit zu Nichte gemacht. Wir warteten also. Nach etwa vierzig Minuten macht sich ein Lachen auf ihrem Gesicht breit. Sie hatte etwas gefunden und wir wussten, was auch immer es war, wir würden zustimmen und das nehmen. Es sollte meine erste Nacht in einem Kapsel-Hotel (カプセルホテル) werden. Bis ich festgestellt hatte, dass ich schon zuvor in Kapsel-Hotels war, die sich Hostels genannt hatten. Und zwar sowohl in Japan, als auch in Israel.
Doch noch jemanden gefunden, der campiert. Einfach direkt am Hauptsteg in Oshima.
Seis drum, die Besitzerin hatte zurückgerufen weil jemand die Buchung annulliert hatte und sie war fantastisch. Sie hiess uns wärmstens willkommen, überhäufte uns mit Tipps was wir alles unternehmen sollten und brachte uns sogar zum nächsten Laden, damit wir unsere hungrigen Bäuche stopfen konnten. Am Abend forderte sie uns etwa fünf mal dazu auf die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele mit ihr zu schauen. Aber wir waren müde, hatten eine grosse Wanderung vor uns am nächsten Tag und lehnten ab.
Der letzte Ausbruch war 1986. Die schwarze Wüste oben zu erkennen.
Ein Gefühl sagte mir allerdings, dass ich doch nochmals runter gehen sollte. Ich nahm eine Sprachnachricht auf. Ein anderer Gast rauchte daneben. Er sprach mich nicht an. Erst als die Besitzerin raus kam und ihn aufforderte mit mir zu reden, tat er das auch. Es schien wirklich als wäre er bloss schüchtern gewesen. Als er dann allerdings mit mir zu flirten begann, stutzte sie ihn zu Recht, dass dies nun zu weit ginge. Natürlich non-verbal. Aber es war eindeutig, er liess es danach bleiben. Es begann ein langer, sehr lustiger Abend mit viel Whisky, aber ohne weitere Avancen. Ein Mariane’scher Klassiker halt.
Genau zu erkennen wo sich die Vegetation zurück gekämpft hat und wo noch nicht.
Die Spiele hatten begonnen, aber irgendwie sprach fast niemand darüber. Davor hatten sich einige meiner Freunde negativ dazu geäussert, die meisten jedoch gar nicht und nur sehr wenige freuten sich schon vorher. Wir erklommen bei glühender Hitze einen Vulkan und kehrten dann nach Tokyo zurück. Ausser den Flaggen Tokyo 2020 war aber nichts auszumachen. Ich hörte aus der Schweiz, dass es zu Protesten gekommen war, nicht in den Japanischen Medien. Es überraschte mich allerdings nicht, dass ein Freund aus dem Kumano an den Protesten beteiligt gewesen war. Die meisten protestierten wegen Covid, er allerdings weil die Olympiade eine dekadente Veranstaltung der Reichen ist.
Yokohama aus der Ferne. Da kommen Erinnerungen an meine Frachtschiffsreise auf.
Ich muss ehrlich gesagt sagen, dass ich da schon seiner Meinung bin. Aus diesem Grund waren diese Spiele gar nicht so schlecht. Nur die Athletinnen und Athleten flogen um die Welt, statt einem Haufen Publikum. Irgendwie war alles dadurch nicht so bombastisch. Und wie ich es mitbekommen habe, galten bezüglich Covid so strenge Regeln, dass eher das Verhalten der Tokyoer (wo ich ein bisschen herauslesen konnte – “warum sollten wir uns einschränken wenn ihr eine Olympiade durchführen könnt”) einen negativen Einfluss hatte. Aber am Ende ist das Spekulation. Tokyo ist riesig und ich habe nur ein paar punktuelle Eindrücke.
Der Zahn der Zeit.
Was aber wirklich faszinierend ist, dass Menschen, die bevor die Olympischen Spiele begonnen haben dagegen waren. Nachdem sie aber begonnen hatten akzeptierten es die meisten einfach. Warum gegen etwas ankämpfen, was man nicht ändern kann? Ich würde das als sehr typisch Japanisch bezeichnen. Wenn sie schon stattfinden, dann kann man sie auch geniessen. Schliesslich hatte jede steuerzahlende Person in Japan ca. 400 CHF dafür bezahlt. Man könnte auch sagen, zum Glück fanden diese verschobenen Spiele in so einem grossen Land statt.
Fabian vor einem weiteren Gebäude, das von der Natur zurückerobert wurde. Obwohl Shikinejima sehr schön ist, scheint es auch hier Abwanderung zu geben.
* angelehnt an Carl Sandburgs “Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin”
Ja, ich bin tatsächlich in einer kompletten Schreibblockade gelandet. Das ist seltsam, sonst war Schreiben immer meine Art Dinge zu verarbeiten, aber irgendwie schien es dieses Mal nicht das Richtige. Vielleicht weil ich selber nicht alles fassen konnte/kann, was in mir und um mich im Wandel ist. Gerade kommt aber draussen der Frühling und irgendwie scheint mir als erwache ich damit auch aus dem Winterschlaf in den ich mich nach dem Abschluss des PhDs versetzt hatte.
Chiba, spontanes zum Meer rennen und den Sonnenuntergang geniessen.
Nun aber zurück nach Japan. Ich habe ein schönes Detail beobachtet und möchte diese mit euch teilen, denn genau diese Details sagen sehr viel über die japanische Kultur, sind aber Details, die man meist nur erklärt bekommt wenn man länger in Japan ist oder das Glück hat mit Japanern zusammen zu wohnt (und das tu ich, wie es dazu gekommen ist werde ich später nachholen). Ein Ding war, dass ich einen Brief von der Krankenkasse hier in Japan bekommen habe mit einem Zettel auf Englisch. Wow, die Freude war gross. Das hätte ich als echt nicht erwartet. Freudig begann ich zu lesen und kurz zusammengefasst stand da «If you do not speak Japanese, please find help from someone who can.» Aber immerhin besser als die Karte, die ich von meiner Pensionskasse hier erhalten habe und erst für Werbung hielt und fast weggeworfen hätte. Seither versuche ich über all meine Post mit jemandem zu beraten. Auf jeden Fall half mir Namiko – meine Mitbewohnerin – die Dokumente auszufüllen, damit ich Geld zurückbekommen kann. Am Schluss nimmt sie das beigelegte Couvert mit der Adresse der Behörde und beginnt einen Teil durchzustreichen. Ich schaue entsetzt zu. Sie schreibt zwei neue Kanji hin.
Sicht in die andere Richtung des Sonnenuntergangs.
«Das ist besser.» Meint sie und ich schaue sie verständnislos an. «Haben die einen Fehler gemacht?» Namiko erklärt. Nein das ist höflicher. Nun verstehe ich. Die Behörde selber schreibt das Antwortcouvert in der unhöflichen Form an, da sie ja über sich selber schreiben. Da wäre die höfliche Form zu verwenden anmassend. Für sich selber und die eigene Familie verwendet man immer die unhöfliche (die in dem Fall nicht unhöflich, sondern einfach bescheiden ist). Allerdings sendet man das ja dann an die Behörde zurück. Sprich man muss es höflich machen. Dasselbe passiert anscheinend auch umgekerht. Zum Beispiel wenn man eine Hochzeitseinladung erhält, dann steht da «o namae». Das «o» ist die höfliche Anrede und «namae» ist Name. Anscheinend streit man da das «o» durch, bevor man die Antwort zurücksendet.