Endlich frei… oder auch nicht

Die Zeit verfliegt. Bald bin ich seit zwei Jahren in Japan. Ich kann mich inzwischen ein bisschen verständigen (Smalltalk), ich habe mich in vielen Dingen an die Kultur angepasst. Auch mit den Ferien, die ich genommen habe, sprich 1.5 Jahre lang hatte ich keine richtigen Ferien, obwohl ich eigentlich weiss, dass ich eine lange Pause pro Jahr brauche. Als ich dieses Frühjahr dann Abgabestress hatte, wollte ich mich voll reinhängen und es ging einfach nicht mehr. Nach zehn Stunden konzentriertem Arbeiten war ich einfach erschöpft. Das kannte ich so gar nicht. Ich wusste also, dass ich eine Pause brauchen würde und beschloss im August, während der Semesterferien mit dem Velo nach Hokkaido zu gehen.

Libelle auf Lotus.

1. August 2022: Da es schwierig ist in Japan das Velo in den Zug zu verladen, fuhr ich mit dem Velo über Sawara nach Oarai und habe von dort die Fähre nach Tomakomai bestiegen. Es war einer jener drückend heissen Tage diesen Sommer und ich dachte eigentlich, dass ich alleine fahren müsste, aber Shori – der Freund einer Freundin – entschloss mich zu begleiten und das war so cool. Ich musste sein Tempo ein bisschen drosseln, da ich nicht mit ihm mithalten konnte, aber es war ein sanfter Einstieg dazu um ein Monate (so dachte ich zumindest zu dem Zeitpunkt) alleine durch Hokkaido zu fahren.

Wasser kommt aus einer Brücke in Sawara.

Die Strecke war gut 190 km (da ich eine schöne und nicht eine nahe Route gewählt hatte). Ich teilte es in zwei Tage auf. Die Nacht verbrache ich in Sawara, einem wunderschönen kleinen Dorf, das vor allem Nachts seinen ganzen Charm ausspielte. Ein beleuchteter Kanal gesäumt mit traditionellen Häusern. Der zweite Tag war weit. Die Sonne knallte, die Fähre warum um 21:45 Uhr. Ich kam nur schleppend voran. Plötzlich kam mir in den Sinn, dass ich vielleicht deutlich früher einchecken muss mit dem Velo als die normalen Passagiere. Ich kontaktierte also gegen 16:45 Uhr (noch 30 km vom Hafen) Shori. Bis 17 Uhr sollte ich dort sein. Keine Chance!

Sawara in der Nacht.

Ich fuhr also so schnell ich konnte, hatte an dem Tag schon ca. 5 Liter getrunken, allerdings gab es keinen Laden und für einmal auch keinen Getränkeautomaten und meine eine Trinkflasche hatte ein Loch. Grossartig. Sprich ich kam wirklich an meine Grenzen, nur noch ein paar Tropfen Wasser übrig, unter der knallenden Sonne, mit Vollpackung, so schnell wie ich konnte in Richtung Fähre in Oarai wurde mir Zwischenzeitlich für den Bruchteil einer Sekunde Schwarz vor Augen. Ich evaluierte die Situation und beschloss, dass ich nicht vom Rad fallen würde und fuhr weiter. Um 17:54 checkte ich ein, um 18:15 Uhr wurde das Schiff beladen, die Velos voran, ich hatte es geschafft. Dieser ganze Sprint wäre allerdings gar nicht nötig gewesen, wenn ich früher verstanden hätte, dass mir ein Lastwagenfahrer angeboten hat mich mitzunehmen. Aber ich verstand erst als ich schon abgelehnt hatte und er gerade davon fuhr ohne mein Velo auf seiner leeren Ladefläche.

Bett auf der Fähre.

Auf dem Schiff kann ich das Gefühl kaum beschreiben. Ich fühlte mich so frei. Atme die frische Meerluft. Arbeitete noch ein bisschen, denn ich hatte einen Abgabetermin am 16. August, aber verbringe vor allem viel Zeit auf Deck. Genau genommen die halbe Nacht. Ein junger Japaner setzt sich neben mich. Schaut immer wieder zu mir rüber, bevor er mit mir zu reden beginnt. Er spricht nur Japanisch. Erzählt mir, dass er ein paar Tage frei hat und darum mit zwei Freunden nach Hokkaido fährt um gut Essen zu gehen. Er trägt normaler Weise Post aus und ich Mitte zwanzig. Mit ein paar Tipps für Restaurants und dem schönen Gefühl das Leben eines anderen Menschen gestreift zu haben, gehe ich ins Bett, das wie ein Kapsel Hotel ist.

Drei wollen in die gleiche Richtung. Einer wählt besser und geht im Gegenuhrzeigersinn. Nicht ich. 😉

Am nächsten Morgen lerne ich die drei anderen Fahrradreisenden auf dem Schiff kennen. Es scheint jeder Person zu wissen, dass ich mit dem Fahrrad unterwegs bin.* Ich dachte sie kennen sich alle, doch waren alle alleine unterwegs und Shona, Tomo und ich planten in dieselbe Richtung zu fahren. Das hiess meine Solotour wurde noch weniger Solo als gedacht. Wir schliefen in Parks, kämpften gemeinsam gegen den Wind und während die anderen beiden sich Abends ins Zelt legten, um zu schlafen, nahm ich meinen Laptop hervor und arbeitete, denn voll Ferien hatte ich nicht und wie erwähnt noch eine Abgabe im Nacken.

*Und hier ein kleines Intermezzo. Japaner*innen schauen einen selten an. Es scheint, als wären sie komplett desinteressiert an ihrer Umwelt, als würden sie nichts sehen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Es entgeht ihnen nie etwas. Ich weiss nicht wie sie das machen, aber ohne zu schauen sehen sie alles. Zum Beispiel unter ihren halb geschlossenen Augen hervor, die vorgeben zu schlafen.

Impression von Unterwegs.

Und warum nicht frei? Weil ich einmal mehr lernen musste, dass man als Frau alleine unterwegs nicht immer ganz frei ist. Alkohol trinken ist einfach immer gefährlich, also lasse ich es normaler Weise. Zudem schien wirklich jede Person den Drang zu haben mir zu sagen wie gefährlich es ist als Frau alleine zu reisen. Bilanz: Eine Unterkunft wies mich ab weil es für mich zu gefährlich ist als Frau alleine, da sich dort noch Bauarbeiter aufhielten. Ein anderer Velofahrer, der mein Nein erst akzeptierte als ich extrem deutlich wurde und ich echt langsam Angst hatte (er war eigentlich ganz süss davor, aber später sturzbetrunken), ein älterer Herr, der mir anbot mir die Toilette in den Büschen zu zeigen und ein anderer Hotelbesucher, der plötzlich mit einem Bier in meinem Zimmer stand. Er bot mir nett das Bier an und ich lehnte nach den vorherigen Erfahrungen klar und deutlich ab. Schade, vielleicht wollte er wirklich nur ein Bier trinken. Aber er machte nicht den Eindruck leider. Also lieber nicht darauf ankommen lassen.

Seis drum, die Landschaft war schön und die meisten Begegnungen waren wunderbar. Ich konnte Freunde von Freunden und Verwandte Besuchen und überall lernte ich spannende Menschen kennen, ass ausgezeichnetes Essen und hatte interessante Diskussionen. Und ich fand einen ganz speziellen Ort. Nach einer weiteren Hetzjagd auf dem Fahrrad, erreichte ich das Kimura Café mit einem Garten, der ein wahres Paradies ist und alles selbst gemacht, inklusive das Haus. Die Malerin des Garten, die ursprünglich Ölmalerei studiert hatte, erklärte mir, dass nun die Blumen ihre Farben sind und der Spaten ihr Pinsel. Und genau so sah es aus. Es kann allerdings nicht vollkommen in Bildern eingefangen werden, denn da war der Duft, das Brummen der Insekten und die unglaublichen Farben und manchmal streift einen sanft eine Pflanze. Das alles nach einer unendlich anstrengenden Velofahrt konnte ich eigentlich nur als kleines Paradies beschreiben.

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