Eine bitterschöne Wanderung oder über Freundschaft

Gleich vorweg. Ich habe die Namen der beteiligten Personen geändert. Nicht, dass der Vorname reichen würde um Rückschlüsse zu ziehen, doch einfach um sicher zu gehen. Das mache ich des öfteren.

Welch wunderschöner Bambuswald bis man ein bisschen zu nahe an die Kante geht.

Beflügelt von meiner Tour auf den Fuji habe ich fast jedes Wochenende danach einen oder mehrere andere Berge bestiegen und das bei unglaublich schönem Herbstwetter. Oft zog ich mit Joshi los, den ich beim Abstieg vom Fuji getroffen hatte. Wir lachten viel zusammen, er konnte mir viel über die Vegetation beibringen, zeigte mir eine Pflanze, mit einem weissen Pulver in den Kapseln, die man als Make-up verwenden kann.

Auf dem Weg zum Kawaguchi-See, zur schönsten Wanderung, die ich wohl bisher in Japan gemacht habe.

Bei unserer zweiten Tour standen wir an einem wunderschönen Morgen noch vor Sonnenaufgang an der Küste in Izu, konnten aber von Toi (dem Ort) an dem sich unsere Unterkunft befand, Fuji nicht sehen. Noch 15 Minuten bis Sonnenaufgang. “Zeig die Karte… 3.6 km… das schaffen wir”. Wir schauten uns an und liefen wie vom Aff gebissen los. Die Kamera in der einen Hand, das Wechselobjektiv in der anderen nahm ich die Beine in die Hände und rannte so schnell ich konnte. Joshi joggte hinter mir her. Er war an dem Morgen anscheinend schon um 4 Uhr aufgestanden und 8 km rennen gegangen.

Für diesen Anblick waren wir gerannt.

Wir schafften es und der Anblick war umso schöner, da wir ihn uns verdient hatten.

Das alles nach einem herrlichen Regentag.

Zwei Wochen später war die nächste Tour geplant. Ziemlich ambitioniert, aber ich hatte endlich jemanden gefunden, auf den ich keine Rücksicht nehmen muss beim Planen weil ich davon ausgehen kann, dass wenn ich es schaffe er auch keine Probleme hat. Wir starteten also am Kawaguchiko (das ist einer der fünf Seen um den Fuji) und wanderten auf dem Grat via elf andere Gipfel bis zum Mitsutoge.

Zufall?

Da wir gerade den Bus verpasst hatten, liefen wir zusätzliche 6 km um zum Einstieg zur Wanderung zu kommen. Dort liess mich Joshi zwischen zwei Wegen wählen. Weil wir doch relativ spät dran waren, wählte ich nicht die ursprünglich geplante Route, sondern die Abkürzung. Dabei übersah ich allerdings, dass der Weg auf der Karte nicht ganz durchgezogen war. Sprich nach einer Stunde wandern wurde der Weg immer schwieriger zu finden, bis er ganz verschwand. Wir kletterten also mehre Stunden durchs durchs Unterholz, rutschten hin und wieder den Hang runter, kletterten über und unter umgefallenen Bäumen durch. Aber es war nicht so steil, dass es gefährlich gewesen wäre, also gingen wir weiter. Endlich hatte ich jemanden gefunden, der meine Abenteuerlust teilte und wo es einfach unkompliziert war. Obwohl (oder vielleicht?) weil wir nur bedingt die gleiche Sprache sprachen.

Erwischt beim Fotografieren der Herbstblätter. (von Joshi)

Dann fanden wir endlich zurück zu einer Schotterstrasse. Ja, in die andere Richtung hätten wir diesen Weg nie gewählt. Wir folgten der Strasse, endlich der richtige Weg, bis wir an einer Baustelle landeten, wo Hangrutschverbauungen gemacht wurden und alles gesperrt war. Grossartig, wieder durchs Gebüsch klettern, dieses Mal deutlich steiler. Wir verloren wohl nochmals eine Stunde, ehe wir endlich wieder einen gut ausgebauten Weg fanden, der uns sehr steil zur Gipfelroute brachte.

Der Weg.

Oben angekommen war der Ausblick überwältigend. Fuji mit 傘 (gesprochen kasa, Regenschirm), anscheinend etwas Spezielles, denn Joshi betonte immer wieder, dass er das auch zum ersten Mal sieht. Aber was ich inzwischen gelernt habe ist, dass es auch eine Art flirten ist, wenn Japaner übermässig betonen wie toll das ist. Ob Essen oder Aussicht oder was auch immer. Doch war es wirklich eine fantastische Tour, also gehe ich mal davon aus, dass es nur die Aussicht war. Auf dem ersten Gipfel trafen wir dann auch die erste und einzige Person auf der ganzen Route. Lange verweilen konnten wir allerdings nicht, denn es lagen noch 19 km vor uns bis zur Hütte, wo wir zu übernachten planten.

Einmal mehr Fuji und ich. (von Joshi)

Die Dämmerung kam ganz langsam, schleichend, wir konnten Fuji beobachten, wie er sich allmählich verfärbte und wie die ganzen Japanischen Alpen im Westen sich im Sonnenlicht und durch die Herbstblätter rot färbten. Es war einfach nur überwältigend schön und wurde noch schöner, als die Nacht kam. Fuji war dank des Schnees noch immer gut auszumachen. Ich versuchte Joshi beizubringen, dass er die Hütte, die er gebucht hatte, anrufen sollte. Er schien irritiert. Warum? “Weil man das in den Bergen einfach macht”, dachte ich, aber ich konnte es nicht wirklich kommunizieren. Er sagte später. Ich fragte also alle 30 Minuten nach, “jetzt?” Er rief nicht an und ich hätte einfach sagen sollen, gib mir die Nummer, aber ich habe es nicht getan, Telefonanrufe sind für mich hier immer noch ein Ding der Unmöglichkeit. Wie immer wollte ich nichts Falsches sagen. Andererseits wusste ich, dass der Hüttenbesitzer Joshis Nummer hatte, denn er hatte zuvor einmal angerufen, sprich wenn er sich wirklich Sorgen machte, dann konnte er uns kontaktieren. Ich beruhigte mich also und schlug zur Sicherheit dennoch ein hohes Tempo an. Der Weg war auch ausgezeichnet.

Stellt euch vor die Realität ist tausend Mal schöner als das Bild.

Bald liefen wir im Schein unserer Taschenlampen. Ich konnte das Tempo angeben und ging bis absolut an mein Limit. So sehr, dass ich ab dem drittletzten Aufstieg echt nicht sicher war, ob Joshi nun auch an seiner Grenze war. Aber wenns darauf ankommt, dann kann ich immer ungeahnte Kräfte mobilisieren, das weiss ich inzwischen.

Immer und immer wieder sahen wir Fuji von einer leicht anderen Seite.

Manchmal verweilten wir kurz und ich staunte einfach nur über den Anblick. Die Sterne, der Mond, Fuji, die Japanischen Alpen und ganz alleine, alles so unendlich ruhig, zwischendurch das Lichtermeer und ich war so froh zu zweit zu sein und nicht alleine, denn all die Ängste, die ich alleine ausgestanden hatte, waren zu zweit inexistent. Manchmal schwiegen wir, manchmal redeten und lachten wir und immer setzten wir einen Fuss vor den anderen. So schnell es irgendwie ging.

Der Gipfelweg.

Als es dann darum ging entweder auf dem Gipfelweg weiter zu gehen oder eine “Abkürzung” zu nehmen, machte ich ganz eindeutig klar, dass die Abkürzung keine Option ist. Der Gipfelweg war sicher, aber die Wege ins Tal waren extrem steil. Da liess ich nicht mit mir diskutieren. Im Schein der Taschenlampen wollte ich kein Risiko eingehen. Ich war in dieser Gegend schon einmal gewandert.

Nachtwandern. Im meinen Augen das absolut schönste und der Weg war so gut, dass es auch relativ sicher war.

Irgendwann gegen 21:30 hatte ich Joshi dann endlich so weit, dass er anrief und da stellte sich heraus, dass er eben keinen Empfang hatte. Er nahm also mein Telefon, aber niemand antwortete. Die letzten 45 Minuten waren richtig hart. Ich war wirklich hungrig (und Joshi musste noch hungriger sein, denn er ass meist nur Abendessen – sprich er hatte an dem Tag noch nichts gegeseen) und ich hoffte inständig, dass der Hüttenwart noch Essen für uns hatte. Ich hatte zwar noch ein bisschen Reserven, aber ein richtiges Essen ist in so einer Situation das Grösste.

Dafür läuft man hier an einem schönen Wochenende hoch.

Es gab noch Essen, aber der Wirt war so richtig unangenehm wütend, hatte seinen Sohn los gesendet, um uns zu suchen und 15 Minuten zuvor die Polizei informiert und liess das alles an Joshi aus. Er erklärte ihm wieder und wieder wie verantwortungslos das war. Dabei hatte er es gewiss nach dem ersten Mal schon kapiert. Joshi, hatte allerdings keinen Anruf vom Wirt auf dem Telefon. Ich fand das daher ziemlich unfair, aber hielt schön brav meinen Mund. Ich konnte alles nur schlimmer machen. Dabei hatte ich ziemliche Schuldgefühle, denn ich hatte es eigentlich gewusst, aber mal wieder meinem Gefühl nicht genug vertraut um wirklich energisch zu werden. War zu ängstlich Joshi vor den Kopf zu stossen. Aber eigentlich war ich schon ziemlich energisch, ich konnte es einfach nicht auf Japanisch ausdrücken. Also hätte ich es mit Zeichensprache machen sollen. Joshi meinte später der Wirt sei nett gewesen, aber ich hatte nicht diesen Eindruck. Wahrscheinlich auch weil es eben nicht direkt gegen mich gerichtet war, sondern gegen ihn und aus der Beobachterwarte war das wirklich nicht nett und vor allem nicht konstruktiv. Mir gegenüber verhielt sich der der Wirt neutral, bis ich mich entschuldigte, dann bekam ich eine ganze Ladung Passiv-Aggressivität zu spüren.

Sonnenaufgang.

Joshi hatte tatsächlich nach dem Donnerwetter noch den Nerv nach separaten Zimmern zu fragen, als uns der Wirt gemeinsam in einem Zimmer unterbringen wollte. Aber ich liess ihn gewähren, da ich schon verstanden habe, dass die Interaktion in Japan zwischen Männern und Frauen einfach anders ist und ein Zimmer zu teilen wohl schon eine gewisse Bedeutung gehabt hätte.

Mitsutoge und die Japanischen Alpen im Morgenlicht.

Am nächsten Morgen erwartete uns ein unglaublich schöner Sonnenaufgang mit sternklarer Sicht. Wir lachten wieder und die Welt schien in Ordnung. Der Abstieg war heiter, wir kauften noch Gemüse bei einem Bauern ein und Joshi brachte mich zum Bahnhof. Via Übersetzer sagte ich noch, dass mir die Situation vom Vortag Leid tun würde und er winkte ab. Etwas zu schnell für meinen Geschmack. Wenn negative Dinge nicht ausgesprochen werden, dann sind sie nie passiert. So kommt es mir hier oft vor.

Ja der Herbst, die schönste Jahreszeit für mich in Japan.

Wir sagten tschüss. Am nächsten Tag hatte er mir seine Fotos hochgeladen und eigentlich hatte er mir noch versprochen die Details der Route zu senden. Ich fragte nach und hatte er bisher immer sogleich geantwortet, so kamen die Antworten nun schleppend. Und ich wusste genau was nun kommen würde. Das was Japaner immer machen. Einfach den Kontakt abbrechen. Ich werde nie erfahren warum. So sitze ich hier und weine während ich das schreibe. Darum hat dieser Post wohl auch so lange gedauert weil ich wohl noch nicht bereit dazu war. Ich kann es nicht verstehen. Es ist als würde einem regelmässig Leute einfach wegsterben. Nur dass sie noch leben. Aber von einem Tag auf den nächsten hört man nie mehr etwas und wird nie erfahren warum. Lag es an der Situation in den Bergen, Schuldgefühle, Scham, hatte er sich verliebt und mein klares “nein” auf die Frage, ob ich in Japan bleiben würde nicht gut aufgenommen, hatte ich ganz zu Beginn doch richtig verstanden und er hat eine Freundin oder hatte ich irgendetwas komplett Falsches gesagt, dessen ich mir nicht einmal bewusst bin? Wie gesagt ich werde es nie erfahren und ich versuche – mit bedingtem Erfolg – mir auch nicht ewig darüber den Kopf zu zerbrechen.

Die letzten Meter der Wanderung. Diesen Pfad hatte ich auf einer früheren Wanderung gesehen und wollte darum im Herbst zum Mitsutoge zurück.

Wisst ihr das Schlimme daran ist, dass ich Joshi für einen herzensguten Menschen halte. Ich denke tatsächlich, dass er irgendeinen Grund hatte und er einfach gelernt hat, dass das Beste ist, wenn man sich dann einfach aus dem Staub macht. Aber mich macht das kaputt. Es ist als würde hier Freundschaft nicht existieren. Das durfte ich im letzten Jahr wieder und wieder erleben. Vielleicht liegt es an Covid-19, ich hoffe es wirklich inständig aber die Aussage einer älteren Amerikanerin gestern, die seit 27 Jahren hier lebt hat mich nicht optimistischer gestimmt. Ohne dass ich irgendetwas erzählt habe meinte sie “Die Japaner, eines Tages verschwinden sie einfach aus deinem Leben.” Und wenn man ein Mensch ist, der es anders machen würde aber hier aufwächst, dann macht man diese Erfahrung eine gewisse Anzahl Male und beginnt dann selbst damit, denn ich glaube nicht, dass es an irgendjemandem spurlos vorbei geht, wenn man im Laufmeter geghosted wird. Meine Theorie ist, dass hier die einzige Möglichkeit ist, wenn man eine wunderbare, liebende Familie hat. Und in dieser dann die emotionale Sicherheit findet und von ein paar Freunden aus früher Kindheit. Später tiefe Bindungen zu bilden scheint schwierig. Die grosse Ausnahme in meiner Erfahrung bilden einige jener Studierenden, die in Kumano waren (dem Studentenwohnheim in dem ich in Kyoto war). Bisher habe ich dort am meisten Personen kennen gelernt auf die ich wirklich zählen konnte. Aber ich lege meine Hand nicht mehr komplett dafür ins Feuer. Nicht in diesen Zeiten, nicht nach allem, was ich im letzten Jahr bezüglich Freundschaft erfahren musste. Spannend aber auch dass dem gegenüber im tiefen Kontrast meine Freunden in Europa und dem Rest der Welt stehen, auf die so unendlich viel Verlass ist, dass ich es kaum glauben kann. Selbst aus der Distanz.

Spaziergang an einem regnerischen Sonntag durch Uji mit Beer. Ja, was würde ich hier ohne Beer machen?

Ich hoffe inständig, dass das nicht mit den wenigen Menschen, die mir hier noch wirklich etwas bedeuten passiert. Aber inzwischen weiss ich leider: Man kann noch so sehr denken, dass es mit dieser Person nicht passiert, man wird doch eines Besseren belehrt. Nun kann ich in zwei Richtungen gehen. Das was ich als erstes versucht habe ist bei jedem Wort darauf acht zu geben ja nichts Falsches zu sagen. Das hat vielleicht sogar zum Bruch mit Joshi geführt und sicher einige irritiert weil ich dadurch sehr unsicher gewirkt habe. Nun habe ich allerdings die Richtung gewechselt. Ich bin einfach mich selber. Das ist alles was ich tun kann. Es erwarten sowieso alle hier, dass ich anders bin. Also kann ich es auch sein. Zudem habe ich mich dagegen entschieden einfach eine emotionale Mauer aufzubauen, sondern versuche weiterhin offen auf die Menschen hier zuzugehen. Einfach ohne jegliche Erwartungen. Aber ich überlege immer öfters nach Hause zurück zu kehren. Ich bin nicht für diese Gefühlskälte gemacht. Auch wenn ich sie rational nachvollziehen kann, so verletzt es mich zu sehr und ich mache mir ernsthaft Sorgen, dass das Erlebte meine Fähigkeit anderen Menschen zu vertrauen längerfristig beeinträchtigen könnte. Denn dies war nur ein Beispiel von vielen.

Melancholisches Bild zum Abschluss.

Allerdings, da ich ungern mit etwas Deprimierendem aufhöre, muss ich auch erwähnen, dass ich am vergangenen Wochenende gelernt habe selber Miso-Paste zu machen. Das war mit der Mutter eines Freundes und einer Freundin (Aya) von mir. Wir hatten einfach Spass. Danach haben wir das wunderbare Essen unser Gastgeberin genossen und vielleicht gerade weil ich so mitten im Hadern bin, wird so eine schöne Erfahrung umso intensiver. Schon nur mit den Händen in dieser Masse herumzukneten war toll und dann wusste unsere Gastgeberin so viel und Aya konnte alles übersetzen und ist sowieso eine der coolsten Japanerinnen ausserhalb von Kumano, die ich kennen lernen durfte und es war einfach nur ein wunderschöner Tag. Ich werde versuchen das Rezept in den nächsten Tage zu Posten.

Reiher am Ufer des Kamogawa, meinem Zufluchtsort in Kyoto.

Spannend ist auch, dass die meisten Ausländer hier davon sprechen, dass man durch Wellen hindurch geht in Japan. Wobei meine Welle gerade an einem relativ tiefen Punkt oszilliert. Sprich es sollte hoffentlich irgendwann wieder rauf gehen. Ich kann also noch auf einen versöhnlicheren Abschluss hoffen.

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