Das Auf und Ab der Wellen

Mein Weg durch Hokkaido. Violett ist wo ich hin möchte aber nicht war.

Die ganze Reise rund um Hokkaido war vom dauernden Auf und Ab der Wellen begleitet, denn grösstenteils ging alles der Küste entlang. Es war auch sonst ein Auf und Ab wie es oft der Fall ist, wenn man reist wie ich es tu.

Küste, oft wild und windig. Meist leider mit sehr vielen Verbauungen.

Vom paradiesischen Garten mit der wunderbaren Begegnung mit Herr und Frau Kimura, gings weiter an den Akan-ko (Ko heisst See), wo ich eine wunderschöne Wanderung voller Angst vor Bären machte und eine Nachtfahrt hatte, bei der ich nicht übertrieben über fünfzig Rehe sah, etwa zehn Füchse und zum Glück keinen einzigen Bär. Aber weil mir wirklich täglich mehrere Personen sagten, dass es Bären gibt und sie so gefährlich sind, musste ich zwischendurch mal meinen Bruder anrufen, der mich augenblicklich beruhigte.

Mashuko

Am Akan-ko machte ich mich auf die Spuren der Ainu (oder dessen, was Japan in der heutigen Zeit davon präsentiert) und war überrascht, dass die Totempfähle und die Muster sehr an die Indianer erinnerten, deren Geschichte ich als Kind rege verfolgt habe. Und es ist mir ein interessanter Gedanke gekommen. Egal welches Urvolk, wenn zu viele Menschen auf einmal aus einer anderen Kultur kamen, dann wurde das indigene unterdrückt und zum Teil vernichtet. Das heisst in keinster Weise, dass ich gegen Migration bin, ich habe gerade ein interessantes Podcast gehört zum Thema Migration als einziges Mittel gegen den Klimawandel. Einzelne Inselgruppen, die sehr tief liegen, gehen das bereits sehr strategisch an. Wenn wir das nicht tun, hm dann werden wir sehen… Auf jeden Fall war es interessant so viel Zeit zum Nachdenken zu haben und dies sind nur ein paar Gedanken, die mir im Ainu-Theater gekommen sind, während ein paar wie “Ainu” gekleidete Menschen Tänze vollführten und in tatsächlich einer imposanten Visualisierung einer rein projizierten Landschaft, Rituale vollführten und Sangen. Über die Ainu lernte ich leider nicht viel dabei.

Spuren der Ainu.

Dies tat ich zusammen mit Shona, die ich nach einem kurzen Intermezzo alleine wieder traf. So ein wiedersehen ist einfach schön. Sie ist so eine spannende und mutige junge Frau. Also verweilte ich länger als geplant mit ihr – wie ich es oft zu tun pflege.

Shona und ich.

Danach musste ich allerdings einen Zug nehmen um zeitig nach Asahikawa zu kommen, denn dort hatte ich abgemacht. Das Zug nehmen mit Velo stellt man sich eigentlich einfach vor, aber es ist mein Alptraum geworden, denn man kann das Velo nicht einfach in den Zug reinschieben, sondern muss es auseinander Schrauben, in einen Sack verpacken und tragen. Schon alleine das Velo zu tragen ist bei den 15kg nicht so einfach, aber ich hatte ja noch das ganze Gepäck. Zelt, Büro, Kamera, Essen,.. Total wohl um die 35 kg mit dem Fahrrad zusammen. Ich trat wie verrückt in die Pedalen und war eine Stunde vor Zugabfahrt dort, leider darf man nicht vorher auf das Gleis, also musste ich als der Zug kam alles über eine Brücke hinüber tragen und merkte schnell, dass ich das nicht in einem Mal schaffe. Niemand half. Ich rannte also, kam noch rechtzeitig runter und da waren zwei Züge. Welcher ist es? Ich versuchte jemanden zu fragen. Keine Antwort. Ich fragte den Lockführer, aber des falschen Zugs. In dem Moment schlossen die anderen Türen und der einzige Regionalzug des Tages fuhr ohne mich ab.

Letzte Wanderung mit Shona.

Drei Stunden später noch ein Schnellzug. Ich brauchte ein neues Ticket und es war unklar ob mich der Zug überhaupt mich Velo mitnehmen würde. Vollkommen erschöpft legte ich mich auf die Bank und mir schossen erstmals die Tränen in die Augen. Ihr müsst euch vorstellen, dass ich davor währen zwei Wochen eigentlich jeden Tag mindestens 100km gefahren war und damit meine Kapazität eindeutig überschritten hatte. Die Ruhe war allerdings auch bald wieder zurück. Ich war einfach nur erschöpft. Mein Rücken schmerzte von tragen des Velos und ich fühlte mich so hilflos ohne die richtigen Worte um in so einer Situation um Hilfe zu bitten.

Vulkanische Aktivitäten.

Ich liess das Velo stehen wo es war, kaufte, ein neues Ticket, fand einen Bankomat um Bargeld zu holen und dieses Mal ignorierte ich das mit dem Gleis einfach. Ich versuchte herauszufinden wo ich mit dem Velo einsteigen kann, aber natürlich konnte mir das niemand sagen. Aber ein nettes Paar half mir zumindest meine Kameratasche und mein Zelt zu tragen. Ich schaffte es in den Zug rein und brachte mein Velo ganz am Ende des Zugs unter. Ein älterer Herr sass drei Reihen davor und starrte mich so hasserfüllt er konnte an. Ich versuchte es zu ignorieren und setzte mich komplett erschöpft hin. Als der Kontrolleur kam, beklagte sich der Gast über mein Velo. Ich musste also das Velo durch den ganzen Zug hinter dem Kontrolleur hertragen. Am Ende fiel es mir einfach runter weil ich nicht mehr konnte. Meine Arme hatten keine Kraft mehr. Ich versuchte zu sagen, dass ich einfach eine kurze Pause brauchte, aber ich konnte mich nicht verständlich machen. Am Schluss war das Velo aber immerhin verstaut und ich war im Zug. Blieb nur noch übrig es irgendwo in Asahikawa aus dem Bahnhof raus zu schaffen. Man muss da immer alles bis zur Ticketschranke tragen und das kann sehr weit sein. Dieselbe nette Frau half mir nochmals. Es war geschafft! Aber ich spürte meinen Rücken noch zwei Wochen lang.

Blick auf die Fussgängerzone in Asahikawa.

Asahikawa gefiel mir sogleich mit seiner grossen Fussgängerzone, die vom Bahnhof nach Norden führt. Viele kleine Kaffees und Läden, ein ganz schöner Kinderbuchladen. Eine fahrt dem Fluss entlang zu Masa’s Bauernhof folgte. Der Sonnenuntergang war wunderschön mit Bergglühen. Die ganzen Mühen, die Hilflosigkeit machten es vielleicht noch schöner. Das Auf und Ab halt.

Gemütliches Zusammensitzen mit Masas Familie und Kiyo.

Masa ist Biobauer und war mir auf Anhieb sympathisch, was mich aber auch nicht überraschte, denn ich kenne seinen Sohn und sein Sohn ist sehr, sehr cool. Ich konnte dort ein paar Tage verweilen, Energie tanken, meinen Artikel fertigstellen, seine Familie kennen lernen, ein kleines bisschen auf dem Feld helfen und das unglaublich gute Essen geniessen. Es war gerade Kartoffelernte und ich hatte endlich mal wieder richtig gute Kartoffeln. Manchmal fällt einem erst auf wie sehr einem etwas gefehlt hat, wenn man es plötzlich wieder hat. Auch hier gab es wieder gute Diskussionen. Warum erwähne ich das so oft? Weil mir das mitunter am meisten fehlt hier in Japan. Der Austausch von ungleichen Meinungen.

Auch Kengo war da. Ein sehr guter Freund von Masa und eigentlich der Grund warum ich überhaupt in Asahikawa gelandet bin, denn Kengo ist der Mann unserer ehemaligen Sekretärin in Kyoto. Einer der coolsten Personen, die ich in Japan kennen gelernt habe. An einem wunderbar heiteren Abend dieses Frühjahr in Kyoto hatte ich erwähnt, dass ich nach Hokkaido gehe im August und dann hat Kengo spontan beschlossen, dass wir uns ja dort treffen könnten. Ich weiss nicht, ob es von Anfang an ernst gemeint war, es klang in der ersten Sekunde eher wie ein Witz, wurde dann aber sehr schnell konkret. Masa’s Sohn war an diesem Abend auch dort. Er meinte das Haus seines Vaters würde mir gefallen und so war es. Es war einfach nur erfrischend und es ist schön so weit weg von zu Hause eine Familie zu habe.

See bei Furano.

Am dritten Tag kam auch Kiyo dazu. Von da an fuhren wir zehn Tage zusammen und ich kann einfach mal entspannen und im Windschatten fahren. Kiyo kümmert sich um die Navigation und meist auch darum wo wir übernachten werden. Ein paar beschauliche Tage sozusagen, mit Ausnahme eines Tages, an dem und Wind und Regen entgegen peitschen und wo wir beide bis auf die Knochen nass wurden. Mein persönliches Highlight ist dann Rebun, eine Insel ganz im Norden von Hokkaido. Ein wunderschöner Sonnenuntergang, danach der Vollmond und das unaufgeregt fernab der grossen Touristenpfade.

Sonnenuntergang in Rebun.

Als es wieder alleine weiter geht, merke ich den Unterschied frappant. Alleine kommen viel mehr Menschen auf mich zu. Das führt zu unglaublich positiven, als auch zu weniger positiven Begegnungen. Ganz besonders hat mir Hakodate gefallen. Von dort weg hatte ich mich wohl daran gewöhnt alleine zu sein, Shori half mir manchmal etwas zu reservieren und alles lief wie am Schnürchen.

Rebun.

Weitere Höhepunkte waren ein kleiner Tempel in den Bergen, wo ich all meine Höhenangst überwinden musste, um an grossen Metallringen, die über dem Abgrund schwangen und von denen ich nicht wusste wo sie überhaupt befestigt waren, senkrecht hoch zu klettern. Zum Glück kamen zwei alte Japaner. Einer war von Sacharin. Sie waren beiden 80 Jahre alt. Sie kamen jedes Jahr hierher. Eine solide dreistündigen Wanderung mit sehr starkem Gefäll. Selbst die Treppe zu beginn war die steilste Treppe die ich je gesehen hatte. Und bei jedem Gebet sagten sie danke, dass sie ein Jahr mehr hier hochklettern durften. Ich war zutiefst beeindruckt von den beiden.

Schöne Landschaft, gutes Essen, tolle Begegnungen von denen der krönende Abschluss der Besuch bei der Tante von Alice ist. Glücklich besteige ich die Fähre. Ein letzter atemberaubender Sonnenuntergang.

Graveyard of the butterflies (in Anlehnung an den Film von Ghibli, Graveyard of the fireflies). In den Tunnels lagen so viele tote Falter. Sie waren auch die einzige Lichtquelle entlang der Strasse.

In Oarai holt mich Shori ab und wir fahren in einem Tag die 170 km zurück nach Tokyo. Mit jedem Kilometer merke ich wie meine Brust enger wird. Ich bin einfach kein Grossstadtmensch. Um 4 Uhr morgens erreichte ich nach 2700km insgesamt um viele Erinnerungen reicher mein Bett.

Noboribetsu. Ich hatte noch etwas Zeit übrig und dieser Ort war überall beschriftet, ich hatte aber keine Ahnung wo das ist. Dann bin ich einfach mal den Berg hoch gefahren und plötzlich in dieser surrealen Landschaft gelandet.
Tempel in Muroran.
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