Angst und Fuji

In letzter Zeit habe ich oft über Angst nachgedacht. Wenn ich Angst vor etwas habe, dann frage ich, ob es mein Leben direkt gefährdet oder Langzeitfolgen für meine Gesundheit hat und wenn ich beides mit nein beantworten kann, dann tu ich es zum Trotz. Weil nur wenn ich der Angst begegne dann kann ich sie bewältigen. Darum reise ich wohl wie ich reise. Immer auf der Suche nach der Herausforderung. Ich bin aber eigentlich alles andere als mutig. Oft sitze ich da und habe ein richtig mulmiges Gefühl im Magen, frage mich warum ich mir das antu.

Der Blick auf Fuji von Kintoki. Ich würde mal behaupten, dass Covid-bedingt immer noch relativ wenige Menschen da waren.

So auch geschehen vergangenes Wochenende. Die grossen Touristenorte sind selten mein Ziel, aber ich wollte Fuji, den höchsten Berg Japans, erklimmen während ich in Tokyo wohne. Fuji ist irgendwie speziell, denn man sieht ihn von so vielen Orten, wie er sich majestätisch von den Ebenen rundherum abhebt. Ganz alleine und mächtig. Allerdings habe ich gelesen, dass man da im Sommer manchmal Schlange steht beim Erreichen des Gipfels. Im Sommer zu gehen stand daher ausser Frage. Also war ich froh, als ich Blogs gefunden habe, die von Besteigungen ausserhalb der Saison berichteten. Seit die offizielle Saison am 10. September vorbei war, lauerte ich also auf gutes Wetter.

Auf dem Weg zum Start.

Nun der Nachteil von ausserhalb der Saison ist, dass alle Hütten geschlossen sind und nicht wirklich ein Bus irgendwo hin fährt und zelten unterwegs verboten ist, sprich wenn ich von Fuji-san-Bahnhof zum Gipfel gehen wollte, dann sind das 18 km mit 2900 Höhenmetern. Dann 1 km dem Krater entlang und danach wieder 2400 Höhenmeter runter über 14 km gezogen bis zur nächsten Bushaltestelle (wenn man diesen Weg denn gekannt hätte) oder 3250 Höhenmeter auf 24 km runter bis zum nächsten Bahnhof. Um das ohne Übernachtung zu schaffen, musste ich um 21:00 Uhr Abends starten und eine Freinacht in Kauf nehmen. Ich glaubte daran, dass ich das schaffen kann, aber ganz sicher war ich mir nicht. Entsprechend stieg die Nervosität ein Tag vor dem geplanten Datum deutlich an. Das veranlasste mich dazu diese Wanderung für meine Verhältnisse akribisch zu planen. Mit Bernhard (meinem Vater) beriet ich mich wie viel Wasser (ich entschied mich für 3 Liter und begann bereits zwei Tage davor meinen Körper zu Hydrieren und zu Carboloading zu betreiben) und wie viel von welcher Art Nahrung ich brauchen würde. Er verglich mein Vorhaben mit einem Ironman ohne irgendwelchen Support. Ich schmunzelte erst, wurde mir dann aber bewusst, dass die 16 Stunden Laufzeit schon in Richtung eines solchen Vorhabens gingen.

Der Plan.

Vergangenes Wochenende war der Wetterbericht endlich gut und das noch bevor der Schnee einsetzte. Es wurde ernst. Alleine, mitten in der Nacht und ich wusste nicht worauf ich mich einlasse. Der Vorteil man hat von überall Empfang mit dem Natel, sprich ich würde Hilfe rufen können. Ich nahm also ein Schlafsack mit, falls ich in der Kälte auf Rettung warten müssen würde.

Packliste plus noch deutlich mehr Wasser und etwas Essen. Der leere Fleck in der Mitte ist die Kamera, die natürlich nicht fehlen darf. Ein Buch über “Nonelinear Dynamics und Chaos” natürlich auch nicht…

Um 18:30 Uhr kam ich in Fuji-san (Dorf) an. Ich kaufte mir noch eine Karte und suchte nach einem Restaurant. Das Einzige, das sicher keiner Kette angehörte und geöffnet war, war ein Sushi-Restaurant mit zwei unglaublich netten Besitzern. Ich konnte nochmals mein Natel aufladen, ass mich richtig satt und beantwortete die neugierigen Fragen. Sie warnten mich vor der Kälte, schienen für japanische Verhältnisse nur normal besorgt. Das liess mich etwas aufatmen. Zum Schluss gab mit die Besitzerin noch Bananen mit auf den Weg. Ich freue mich unglaublich über die Geste. Das war genau wie ich Japan vor Jahren kennen gelernt hatte.

Alles ist wie ausgestorben. Nur der Wind weht ganz leicht.

Ich kaufte noch ein paar letzte Sachen in einem der Konbini (=convenience store) und machte mich auf den Weg. Es war dunkel, die Luft noch relativ warm. Ich beschloss die Stirnlampe erstmals in der Tasche zu lassen. Der Einstieg war schnell gefunden. Er führte an einem Tempel vorbei zum Yoshida-Trail. Die steinernen Laternen warfen lange Schatten vom Licht der nahen Strassenlampen. Ein Vorgeschmack auf die nächsten acht Stunden wandern durch die Dunkelheit.

Der Einstieg zum Yoshidatrail führt über einen Tempel oder Schrein. Ich weiss den Unterschied hier nie.

Bald war das Licht weg. Ich gewöhnte meine Augen an die Dunkelheit und wanderte durch den nächtlichen Wald. Ein flaues Gefühl im Magen und plötzlich der Gedanke: “Was wenn es hier Bären gibt?” Das flaue Gefühl wurde zu einer Angst, die mich umklammern sollte, bis ich die Grenze des Waldes erreicht hatte, sprich die kommenden sechs Stunden. Als ich nach ungefähr einer Stunde laufen durch die komplette Dunkelheit die Strasse verliess, nahm ich meine Stirnlampe in Betrieb, die ich nicht mehr ausschalten würde, bis ich die Baumgrenze erreicht hatte. Alle 30 Minuten sandte ich zudem meine Koordinaten an meinen Vater. Dazwischen lief ich, immer das Mantra im Kopf “es ist alles gut, du hast nur etwas Angst, aber Bären mögen kein Licht, es ist nicht Frühling und nicht Dämmerung.” Und irgendwann konnte ich über meine Angst lachen und als ich darüber lachen konnte, verflog sie. Sie kam allerdings jedes Mal zurück, wenn sich im Busch neben mir plötzlich etwas bewegte oder ich ein anderes seltsames Geräusch durch die Nacht hallte. Was es jeweils war weiss ich nicht. Zum Glück hatte ich das mit den Spinnweben im Gesicht wenigstens schon auf Shikinejima trainiert. Das kümmerte mich nur bedingt.

Schön wenn die verbleibende Laufzeit zum Gipfel als fast 598 Minuten angegeben wird und das wohl bei Tageslicht.

Nach fünf Stunden hörte ich einen Generator und sah Licht. Ein Zelt mit Schuhen davor stand da und weiter oben war eine Herberge, die tatsächlich noch geöffnet war (die Station 6). Ich freute mich über die Toilette, allerdings gab es schlechte Nachrichten. Der Weg war verbarrikadiert. Geschlossen seit dem 10. September. Das schreiben sie nach 6 Stunden Weg? Aber wahrscheinlich läuft das ausser mir wirklich niemand. Die Frage war nun war der Weg geschlossen weil es gefährlich oder einfach weil es Japan ist? Nur wie findet man das um 3 Uhr morgens heraus. Die Person im Zelt konnte ich schlecht wecken und sonst war niemand da. Ich beschloss mich erstmals hin zu setzen und etwas zu essen und zu trinken. Mein Berater via Telefon riet mir davon ab weiter zu gehen, aber aufgeben war noch nie meine Stärke. Das Wetter war gut, ich war vorbereitet und hatte deutlich mehr Respekt davor nochmals durch den dunklen Wald zu gehen, als auf die Spitze des Berges. Die Konditionen waren optimal. Bevor ich mir weiter den Kopf darüber zerbrechen konnte, kam eine Gruppe aus der Herberge. Ich beobachtete sie eine Weile, dann fragte ich einen von ihnen nach dem Weg.

Endlich mal nicht nur dunkler Wald im Kegel einer fahl schimmernden Stirnlampe.

Er sprach bloss Japanisch, aber inzwischen verstehe ich schon etwas mehr. So konnte ich heraus finden, dass sie mit sechs Personen am Vortag den Fuji überquert hatten. Sie hatten meinte Route in der Gegenrichtung genommen. Es war komplett problemlos, allerdings ist es auf eigene Verantwortung. Eifrig zeigte er mir, wie ich an der Absperrung vorbei kam, dann ging es richtig los. Die Bäume wurden kürzer, der Weg steiniger (aber nicht steiler und er war immer noch 1.5 Meter breit) und meine Angst schwand. Ich hatte Personen getroffen, die den Weg zurückgelegt hatten und allgemein auf Menschen zu treffen kann in so einer Situation unglaublich erleichternd sein.

Alle berichten vom Sonnenaufgang auf dem Fuji, aber für mich war die Dunkelheit, der Mond, die Sterne und all die Lichter im Tal der schönste Teil, als ich endlich die Baumgrenze erreicht hatte. Freiheit, Stille und ein gewaltiger, dunkler Berg direkt zu meiner Rechten. Ich fühlte mich geborgen.

Dann erreichte ich die Baumgrenze, sah die dünne Mondsichel und all die Sterne über mir. Im Flachland um den Fuji herum war ein Lichtermeer zu sehen, das teils durch die Wolken funkelte, teils offen da lag. Neben mir erhob sich mächtig der Fuji-san. Es war atemberaubend. Ich fühlte mich frei und bereit den Berg zu erklimmen. Hier war ich in meinem Element. Genau darum tu ich mir die das an. Wegen solchen Momentes des absoluten Glücks und der Freiheit. Ich frage mich wie weit sich das durch die Angst davor noch verstärkte.

Einsetzen der Dämmerung.

Inzwischen war es vier Uhr morgens, etwas frisch, aber nur kalt wenn ich verweilte. Also ging ich mit Ausnahme von ein paar Fotostops einfach weiter und weiter. Die Dämmerung begann und ich konnte all die Verbauungen ausmachen, die gegen Steinschlag installiert wurden und das waren einige. Während eines Erdbebens wollte ich mich trotzdem nicht in diesem Hang befinden.

Wahrscheinlich Wassertanks für die Hütten und Verbauungen, die ausser direkt aus der Nähe kaum wahrgenommen werden. Aber der ganze Weg ist umgeben davon.
Nur vier Tage später erscheint das auf meinem Bildschirm und zwar gleichzeitig mit heftigem Beben der Erde. Manchmal braucht man Glück oder zumindest kein Pech.

Irgendwann ging die Sonne auf. Ich war nicht auf dem Gipfel, aber ehrlich gesagt spielte das überhaupt keine Rolle. Für Fotos ist es unterwegs sogar interessanter. Vom Gipfel sieht man einfach einen flachen Horizont in der Ferne. Zudem konnte ich wie geplant das steilste Stück bei Tageslicht zurücklegen. Davor traf ich aber noch einen älteren Japaner. Seit Covid kam er öfters hier wandern, plante aber nicht zum Gipfel vorzustossen und war mit dem Auto bis zur fünften Station gefahren. Wir liefen eine Weile gemeinsam, dann trennten sich unsere Wege, ohne dass ich seinen Namen erfahren hätte wieder. Dennoch in der Einsamkeit eine schöne, flüchtige Begegnung.

Sonnenaufgang am Fuji.

Kurz vor dem Gipfel sah ich wie es aussieht, wenn in Japan ein Gebiet wirklich gesperrt ist. Auf wenigen Quadratmetern war ein dichter Wald aus Schildern, die verboten den Weg zu verlassen. Es macht Sinn, denn der Steinschlag wäre vorprogrammiert.

Ausblick von einer weiteren Zwischenstation.

Dann der Gipfel. Es ist 9 Uhr morgens, zwölft Stunden nachdem ich losgelaufen war. Ich beginne zu husten. Covid, schiesst es mir durch den Kopf, der Grund warum ich oft über Angst nachgedacht habe in letzter Zeit. Kann es sein, dass es Vulkangase gibt hier oben? Ich reagiere immer empfindlich auf solche Dinge. Ich verweilte auf jeden Fall nicht lange, spazierte um den Krater herum und fand den Abstieg auf der anderen Seite natürlich wieder gesperrt. Ich überprüfte also auf meinen drei Karten, ob dies wirklich der Weg nach Gotenba war, verifizierte noch mit Fabian, denn ich wusste, dass die andere Gruppe aus Gotenba gekommen war. Dann ignorierte ich die Sperrung und machte mit an den Abstieg durch die Wüste aus Lavasand.

Vorboten des Herbsts.

In rund drei Stunden war ich unten bei der 5ten Station (das ist da wo sonst der Bus fährt). Meine Knie schmerzten, darum war ich auch einen grossen Teil der Strecke gerannt. Aber ich hätte Stöcke mitnehmen sollen. Im Nachhinein ist man immer klüger.

Der Krater.
Gut getarnte Häuser auf dem Gipfel.
Der Blick von ganz oben.

Unterwegs traf ich noch eine weitere Person. Er kämpfte sich in Halbschuhen durch den Sand. Immer einen Schritt hoch, um dann wieder einen halben Schritt nach unten zu rutschen. Wir grüssten uns. Kurz bevor ich unten angekommen war, rannte er wieder an mir vorbei. Unten angekommen sass er da und reinigte sich gründlich. Sehr Japanisch. Sein Name war Joji und er half mir netter Weise dabei die nächste Bushaltestelle zu finden. Rief sogar noch jemanden an, um nachzufragen. So verstand ich es zumindest, denn er sprach ausschliesslich Japanisch und meine Trefferquote bei Gesprächen liegt immer noch weit unter hundert Prozent. Seis drum irgendwann nach 15 Uhr fuhr 7 km von der 5ten Station ein Bus. Das war besser als nach Gotenba zu laufen.

Der Abstieg ist karg und ich bin vollkommen mit Staub überdeckt, wenn ich durch den Sand schlittere.
Es geht einfach ziemlich steil auf einer Piste durch den Sand pfeilgerade runter, während sich der Weg hoch durch den Sand schlängelt.

Die 7 km sollten sich allerdings unendlich in die Länge ziehen. Meine Muskeln waren zwar noch in Ordnung, meine Füsse schmerzten aber fast so fest wie als ich den Fuss gebrochen hatte. Zum Schluss hin schossen mir bei jede Schritt fast die Tränen ins Gesicht. Aber Autostop ist wegen Covid fast unmöglich und irgendwie gehört es halt dazu wenn man so etwas macht. 14:58 Uhr war ich an der Bushaltestelle, aber der Bus war bereits um 14:45 Uhr gefahren. Von hier waren es ca. 14 km bis zum Bahnhof, das würde ich nicht mehr schaffen. Ich nötigte also einen alten Japaner, der gerade zu seinem geparkten Auto ging, mich mitzunehmen. Zum Glück klappte es.

Schattenspiele beim Abstieg.

So schaffte ich es mit etwas Glück sogar noch auf einen früheren Zug. Ich lief zum vordersten Wagen, der sozusagen leer war, denn ich wollte keine Geruchsbelästigung für meine Mitfahrenden sein und wer sass da: Joji. Das wurden meine ersten zwei Stunden, die ich ohne Unterbruch Japanisch sprach. Ein weiterer Durchbruch.

Spinnenweben in Asakusa.

Der Ausflug hat mich auf jeden Fall beflügelt. Ich weiss nicht genau was daran. Das Überwinden der Angst, die Einsamkeit, das mich lebendig Fühlen, die geschaffte Herausforderung? Wahrscheinlich alles zusammen. Egal was es ist, ich geniesse den Zustand.

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