Ein paar ruhige Tage sind verstrichen. Ich habe sie grösstenteils damit verbracht, dass ich etwas mit meinen Freunden hier unternommen habe. Gleichzeitig habe ich natürlich weiterhin beobachtet, wunderbares Essen genossen und ein paar spannende Menschen kennen gelernt. Allerdings habe ich mir immer wieder eine Frage gestellt: Würde ich die Menschen hier genau so lieben, wenn wir dieselbe Sprache sprechen würden? Wohl kaum, musste ich erst trauriger Weise feststellen, denn wer nicht dieselbe Sprache spricht, muss Zuneigung ganz anders, offen und unmissverständlich kommunizieren. Eigentlich ist das etwas sehr Schönes. Vielleicht geniesse ich es gerade darum so sehr. Wir machen das sonst ausserhalb einer Beziehung sehr selten.
Etwas mehr gewöhnungsbedürftig ist der Fahrstil hier. Er springt zwischen Vollgas und bremsen relativ ungestuft hin und her. Die einzige, der ich trotzdem vertraut habe, war Aldonas Fahrlehrerin. Sie ist um die 50, verstösst gegen sämtliche Stereotypen hier und ich habe sie schon ins Herz geschlossen, als sie uns mit ihrer Raucherstimme begrüsst hat und mir den Hals küsste. Wohl wegen meinem Hut. Auf alle Fälle kommentierte sie Aldonas Fahrversuche schlotend und demonstrierte am Schluss, wie man diesen Parcours mit Höchstgeschwindigkeit, aber bemerkenswerter Präzision, bewältigt. Danach ging es mit lauter Musik, hupend und ohne Hände am Steuer ins Dorf. Sie hat fünf Rennen gewonnen und ich brauchte definitiv keine weitere Demonstration.
Da ist noch eine letzte spannende Sache. Aldona hat inzwischen ein fünf Monate altes Kind, doch es scheint mehr ein Kind der ganzen Gemeinschaft zu sein. Mal ist es bei den Nachbarn, dann bei Tante, Grossmutter oder sonst jemandem, die ja sowieso alle mehr oder weniger im gleichen Haus wohnen. Jeder gehört irgendwie dazu und trägt seinen Teil bei. Der Gedanke gefällt mir. Allerdings ist hier auch die Familie von ihrem Mann. Es ist nicht das Gleiche, wie Aldonas Eltern. Der Umgang ist viel rauer. Ob sie wirklich glücklich ist hier? Ich hoffe es.
Nun bleibe ich noch zwei Tage bei Aldona auf dem Land, danach hoffe ich, dass ich die Fähre in die Ukraine erwische.