Wo…?

Wo gibt es mehr Kühe auf der Strasse, als in Indien? Wo liegt das Wiegenbett des Weins? Wo wird man noch von jedem fünften (Erfahrungswert) Menschen, den man trifft, nach Hause eingeladen? Und wo schmeckt das Gemüse noch fast überall wie frisch aus dem Garten? Wo mäandrieren die Flüsse lustig vor sich hin?

Aussicht in der Nähe von Telavi.

Draussen regnet es. Es ist Monate her, seit ich das Geräusch von Regen auf den Dächern gehört habe. In der Ferne zuckt ein Blitz. Wild und schön. Wie glücklich kann ich mich schätzen, dass ich mich am Ende entschieden habe durch Georgien zu Reisen. Hier geniesse ich nach acht Monaten Abstinenz köstlichen Wein mit einfachem, aber gutem Essen. Noch entscheidender ist jedoch die Gastfreundschaft.

Wein in den Kellern der Kirche von Nekresi. (die Kirche ist aus dem 4. Jahrhundert)

Georgien lanciert den Tourismus, denn es gibt abgesehen von der Landwirtschaft wenig Arbeit für die Einheimischen und dennoch ist das Land noch derart unverdorben. Wo immer ich hin komme, werde ich eingeladen. Es wird kein Festmal auf den Tisch gezaubert, aber ich werde mit einem herzhaften Kuss auf die Wange begrüsst und mir wird die Umgebung gezeigt oder wir versuchen einfach nur zu kommunizieren.

Deckenmalerei in einer Kirche, die für eine Königin errichtet wurde, die so gut war, dass sie als König bezeichnet wurde - falls ich den mobilen Übersetzer richtig verstanden habe. Den Namen des Ortes, wo ich gestrandet war weiss ich allerdings noch immer nicht.

Und die Berge sind wunderschön. Ich war mit ein paar Tschechen wandern in Kazbegi, das voll von Touristen ist, da es sich nur wenige Stunden von Tbilisi – der Hauptstadt – befindet. Es war schön, aber dem Vergleich zum wilden, urchigen Svaneti und seinem Hauptort Mestia hält es dennoch nicht stand. Obwohl Mestia momentan eine Baustelle ist. Das Zentrum wird für Touristen komplett neu gebraut, steigt man jedoch etwas den Hügel hinauf, schlängelt sich zwischen all den Wachtürmen hindurch, findet man Rozas Guesthouse mit Blick auf alte Blechdächer und einen der vielen Wachtürme hier. Sie kocht gut, spricht englisch und hat Informationen zum Wandern.

Gletscher unterhalb des Kazbeg. Ich stehe auf Geröll und Eis. In der Ferne weitere Berge.

Begonnen hat allerdings alles an der Grenze von Aserbaidschan nach Georgien. Nachdem mein Russlandvisa eine gefühlte halbe Stunde gemustert wurde, der Beamte aber keine einzige Frage gestellt hat, betrat ich zum ersten Mal georgischen Boden. „Welcome to Georgia“ meinte er nur, genauso wie jeder andere, der danach noch meinen Pass sehen musste. Ich landete in Lagodechi, wo ich das erste Mal von Mestia hörte und nahm am nächsten Tag eine Maschrutka nach Telavi. Eine Maschrutka ist ein Minibus, der tatsächlich nach Fahrplan fährt. Unser Fahrer betrieb unterwegs allerdings regen Gemüse- und Früchtehandel. Und Telavi? Da gibt es Klöster und Weisswein. Grund genug ein paar Tage zu verweilen, um weiter nach Sighnaghi und Kazbegi zu reisen. Schlussendlich landete ich aber in Tbilisi.

Weinkeller in Tsinandali. Der älteste Wein ist aus 1841.

Es war zu heiss. 42 Grad im Schatten und Zeit für eine erneute Flucht in die Berge. Ich nah den Nachtzug nach Zugdidi, wo ich schlaftrunken in einen Bus stieg, da ich noch nicht gewappnet für Taxifahrer war. „Center?“ Frage ich zwei junge Burschen, die nur blöd grinsen. „Ach wird schon passen, sonst würden hier nicht so viele einsteigen.“ Denke ich und setze mich. Der Bus schlägt allerdings eine unerwartete Richtung ein. Aussteigen und zugeben, dass ich falsch bin oder einfach schauen wohin mit der Bus bringt? Die Entscheidung ist wohl nicht sehr schwierig. Ich verharre also, bis irgendwo im nirgendwo alle Leute aussteigen. Zum Glück hat mein Kompass mir bestätigt, dass ich mich nicht auf der Strasse in Richtung Abchasien befinde. Ich frage eine ältere Dame und ihre beiden Söhne helfen mir weiter. Via Handy wird ein Übersetzender Freund angerufen, der uns vier Stunden begleitet. Bis ich die Kirche von Walenjikha mit samt einem Gottesdienst, der von vier Kirchendienern für drei Besucher (uns ausgenommen) abgehalten wurde.

Kirchgang.

Danach setzten sie mich in die nächte Maschrutka nach Jvari, denn dies war der einzige Ortsname, den Lonely Planet für mich ausspucken konnte. Nicht, dass ich darüber mehr Information gehabt hätte, als dass es ein Dorf ist und einen Staudamm gibt. Aber warum nicht einmal einen Staudamm anschauen und vielleicht findet sich sogar irgendein Homestay. Dachte ich, setzte mich neben eine junge Georgierin, die mich freundlich dazu einlud und wartete ab.

Posing mit Aldona, Natja und Nato.

Aldona: „Where are you from?“

Mariane: „Switzerland.“

A:„Oh, good place.“

… silence …

A: „Where do you go?“

M: „Jvari.“

A: „Stay with us?“

M: „Ähhhhm… yes?“

… Aldona teilt darauf hin freudig nach vorne in den Bus etwas mit, was schwer an “Sie kommt mit uns” erinnert. Dann dasselbe nach hinten in den Bus. Da bleibt nichts anderes, als abzuwarten. Später stellt sich heraus, dass Aldona und ihre drei Cousinen, sowie ihr Cousin die Grossmutter besuchen und sie schleppen mich einfach erstmals mit.

Und die letzte im Bunde: Xauna (Chatuna gesprochen)

Es war die beste Entscheidung. Wir verbringen eine wunderbare Zeit zusammen, schauen uns den Staudamm an und die drei Georgierinnen räkeln sich vor meiner Kamera. Es erinnert mich schwer an junge Frauen, die im Fernsehen ein paar dieser Modelcastingshows gesehen haben und nun exakt das imitieren und lasse mich zum Schluss sogar mitreissen. Aber sie klettern in ihren Higheels jede Geröllhalde hinunter, steigen über Bäche, um für mich ein paar Birnen, Haselnüsse oder Pflaumen zu Pflücken und lassen keinen Brombeerbusch aus. Aldona kann ich nicht einmal ausreden meinen Riesenrucksack für mich zu tragen.

Einer von vielen Wachtürmen in Mestia.

Schlussendlich bin ich nur schweren Herzens weiter gezogen. Aber ich bin zurückgekehrt, habe zum ersten Mal in meinem Leben geholfen ein Huhn zu rupfen und mich bester Gesellschaft erfreut.

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