Tag 1: Die Muskeln
6.15 Uhr, Feilaisi 3520 Meter über Meer. Der Wecker klingelt zum ersten Mal. Ich stehe nicht auf. Die Bekanntschaft mit den Chinesen und dem selber hergestellten Wein (ja es gibt Reben auf dieser Höhe), die ich am vergangenen Abend gemacht hatte, ist spürbar.
6.25 Uhr, selber Ort. Der Wecker klingelt. Ich stehe nicht auf.
6.35 Uhr, selber Ort. Der Wecker klingelt. Ich zwinge mich vom warmen Bett in die Kälte, packe den Kram fuer die nächsten paar Tage.
8 Uhr, selber Ort. Nach einem eher dürftigen Frühstück mit Nudeln und etwas Gemüse, machen wir uns auf den Weg. Wobei Weg leicht übertrieben ist. Unterhalb einer Mauer, die den Blick auf die Touristenattraktion verbirgt, damit man auch brav Eintritt bezahlt, ist nur der Anfang eines Pfades zu finden und eine alte Frau mit komisch aussehenden Kühen, die auch nicht nach Yaks aussahen, gibt uns zu verstehen, dass wir hier nicht hinunter dürfen. Wir ignorieren es gekonnt und machen uns an den langen, steilen Abstieg.
11 Uhr, lottrige Fussgaengerbrücke im Tal 2100 m. Wir passieren die Brücke, dahinter liegen einige Stulpa, doch wir finden den richtigen Ort zum Aufstieg nicht, da überall gebaut wird. Es scheint China ist eine einzige, grosse Baustelle. Ich klettere also eine Geröllhalde hoch und stürze fast. Schlussendlich finde ich aber Halt an einer Wurzel und finde eine Sackgasse. Das heisst ich darf denselben Fels wieder hinunter.
13 Uhr, immer noch derselbe Ort, 100 m höher. Wir machen eine halbe Stunde Pause auf einer Bank mitten im Dorf, während uns einige Bewohner offensichtlich anstarren. Daran haben wir uns in China allerdings schon ein Weilchen gewöhnt. Die Menschen sind neugierig und ich habe ihre Angewohnheit bereits übernommen.
15.15 Uhr, Hotspring 2700 m. Wir dachten, wir wären schon viel weiter, doch die Karte ist eine Skizze und obwohl für Chinesische Verhältnisse sehr genau, so reicht sie gerade aus, um nach dem Weg zu fragen. Nach 1420 m den Berg hinunter und 600 m hinauf, beginnt der eigentliche Aufstieg also erst. Das schwere Gepäck macht sich langsam auf unseren Rücken bemerkbar. Wir bezahlen als Studenten 30 Yuan, doch für einmal ist dies nicht übertrieben, denn der Pfad ist gut unterhalten (kein Holzpfad, wie sonst immer) und es gibt nummerierte Körbe. Eine junge Chinesin, die von ihrem Guide im Stich gelassen wurde, erklärte uns, dass wir bei der Nr. 1 die Spitze erreicht hätten, was im späteren Verlauf sehr wichtig wurde. Wir waren bei Korb Nr. 65.
19.30 Uhr, Pass 3820 m. Wir haben die Höhe erreicht. Von Korb Nr. 30 an, haben wir jeden einzelnen gezählt.
Zum Glück können wir hier übernachten. Unsere Muskeln sind derart leer. Zwei lustige Tibeter begrüssen uns mit “tashitele” der tibetischen Grussformel. Wobei es für mehr oder weniger alles verwendet wird. Kurz darauf stehen Madeleine (die ich fälschlicher Weise Natalie genannt hatte) und Amandine in der Küche. Stellt euch hier allerdings nichts geschlossenes vor. Es handelt sich dabei vielmehr um eine überdachte Feuerstelle. Der Tibeter bereitet “Baba”, das hiesige Fladenbrot, für uns zu und wir fallen hungrig über das Essen her. Es ist kalt, Isolation gibt es in dem Bretterschlag, in dem wir übernachten keine, sieht man von den paar Kartons ab, die an die Bretter gepinnt sind. Es schneit einige Flocken und ich koste den ranzig schmeckenden Buttertee aus Yakmilch (laktosefrei). Nachdem ich beim ersten Schluck ein instinktives Würgen unterdrücken musste, behaupte ich nach einer Tasse, dass ich mich daran gewöhnen könnte, wenn es sein muss.
Tag 2: Der Abstieg und die Blasen
6 Uhr. Der Wecker klingelt, ich schaue durch die Spalte in der Wand nach draussen. Alles ist grau, kein Sonnenaufgang zu sehen. Der Wecker wird ignoriert, da die Erschöpfung vom Marsch des vergangenen Tages noch immer in den Knochen sitzt.
Um 9 Uhr stehen wir endlich auf. Der Abstieg nach Yubeng ist deutlich moderater. Es liegt auf 3120 m. Dort wollen wir zu einem See hoch, doch sollen wir da erneut bezahlen. Es ist ein handgeschriebener Zettel, der erklärt, dass es gefährlich ist und wir darum 5 Franken zu entrichten hätten. Wir versuchen zu verhandeln, doch manchmal muss man einfach kehrt machen. So beschlossen wir uns stattdessen also einen ruhigeren Tag zu gönnen und den Pilgerweg zumindest zu einem Stück zu bewandern. Auf einem viel versprechenden Pfad mit der Aufschrift “kein Durchgang” begaben wir uns auf den weiteren Abstieg in Richtung Mekong. Der Zuflussarm trägt kristallklares Wasser in rasendem Tempo in die Tiefe. Es bäumt sich wild auf. Die Tiger Leaping Gorge ist nichts im Vergleich dazu.
Wir laufen und laufen, bis wir auf einen Wassergrabens stossen, dem entlang wir nach Nilong folgen können. Auf der anderen Seite stürzt der Fels in die Tiefe. Wäre es nicht schon wieder 18 Uhr gewesen und unsere Beine nicht so müde, dass wir regelmässig gestrauchelt wären, hätte mich dieser Anblick vielleicht nicht so erschreckt, doch einige Male mussten wir äusserst schmale, nasse Stellen passieren, die meine leichte Höhenangst herausgefordert haben. Alles ging gut, nur ein etwas ruhigerer Tag war es auf keinen Fall.

Meine Reisebegleiterinnen, die Ziegen, die für einen Stau gesorgt haben und ihr Hirt, als der Pfad wieder etwas breiter wurde. Am Ende ist der Mekong zu erkennen. Es dunkelt bereits ein.
20 Uhr, Nilong, 2140 m. Endlich! Es war fantastisch, aber wir wollten nicht mehr laufen. Unsere Füsse schmerzten allesamt. Schnell hatten wir eine Familie gefunden, die uns gerne für 20 Yuan ein Dach über dem Kopf bot. Die Toilette war wahlweise bei den Eseln oder den Schweinen, aber das Essen war köstlich und das Zimmer staubig, aber riesengross. Allgemein sind die Räume hier nicht ärmlich, sondern beträchtlich und die Chinesen geschäftstüchtig und meist fleissig (die Bauernfamilie hat die halbe Nacht durchgearbeitet). Das Gute daran ist, dass man sich überhaupt nicht schämen muss jemanden um einen Gefallen zu bitten, denn es bleibt oft ein Handel, wenn auch auf eine in meinen Augen herzliche Art. Dasselbe mit dem offensichtlichen Starren. Ich mag es wenn einen Menschen direkt anschauen und das tun Chinesen. Im Gegenzug muss ich meine neugierigen Blicke ebenfalls nicht verbergen.
Tag 3: Ruhetag
Nun, eigentlich hätte dies wieder Titel besagt unser Ruhetag sein sollen, doch da der Taxifahrer 40 Franken für den Transport in einen relativ nahe gelegenen Ort haben wollte, beschlossen wir uns weiterhin auf den eigenen Füssen fort zu bewegen. Nach drei Stunden laufen, legen wir eine Strecke mit einem Minibus zurück und landen schlussendlich in Yuning im so genannten “Reisebüro”. Einem traditionellen Haus am Ende des Dorfes, weit weg von einer gepflasterten Strasse. Dieser Ort bildet den Startpunkt für die Pilger, da bekanntlich immer im Uhrzeigersinn um ein heiliges Objekt herum gegangen wird und der Meili Schneeberg ist einer der heiligen Berge der Tibeter.
Wir haben unglaubliches Glück, denn kurz nach uns erscheint eine chinesische Reisegruppe. Sie sind mit dem Besitzer befreundet und darum gibt es eine kleine Art Fest mit Yakkäse, tibetischen Tänzen, einer Art Schnaps, der mit Hähnchen aufgekocht wird, Schnupftabak und zu guter Letzt dem rettenden Bier. Sie singen und spielen ein Streichinstrument, das ich nie zuvor gesehen habe. Ich hätte spontan einen “weiteren” Rasttag eingelegt, doch meine beiden Reisebegleiterinnen sind unter Visazeitdruck.
Tag 4: Der Pilgerweg
Frühstück. Es gibt eine Paste aus Huhn. Meine beiden vegetarischen Reisebegleiterinnen leiden, als sie den Flügelschlag unseres aufmerksamen Gastgebers sehen. Ich versuche mich ein weiteres Mal als Vorkosterin und moment… es ist süss… Honig, wohl Wildhonig. Er schmeckt einfach köstlich. Wir stopfen und die Bäuche voll und beschliessen, dass es Sonntag sein muss.
Um 11 Uhr geht es endlich los. Wir starten auf 3100 m und wollen bis zum Basiscamp des Duokela hoch. Erst führt uns der Weg durch eine Art Dschungel, dann einen moosbewachsenen Wald, der mich an Irland erinnert. Später erreichen wir eine grüne Hochebene mit einem fast herbstlich wirkenden Wald dahinter. Zum Schluss wird es steiniger und wir beiden Schweizerinnen fühlen uns fast wie zu Hause auf einer Alm. Wir kehren bei einem Bergebewohner ein und kosten geräucherten Yakkäse. Das Wasser des Flusses, dem wir folgen, jedoch auf keiner Karte eingezeichnet ist schimmert blau-grünlich und begleitet uns auf dem ganzen Weg mit stetigem Rauschen. Seitlich und voraus erheben sich mächtige Berge, deren Gipfel mit Schnee bedeckt sind. Zwischendurch passieren wir selber ein Schneefeld.
Gegen fünf Uhr haben wir noch keinen Ort erreicht, zu dem uns der nette Mann mit dem Yakkäse gewiesen hat, dabei hätten wir nach seiner Angabe schon lange dort sein müssen und die Gebetsfahnen, die uns sonst allgegenwärtig den Weg gewiesen haben, bleiben plötzlich aus.
Doch daaaaa….! Wir sehen Menschen. Sie zimmern gerade ein Hütte zusammen, leben aber unter einem Felsvorsprung. Da sind einige andere Hütten, doch alle scheinen vom Winterlichen Schnee eingedrückt worden zu sein. Nur eine hat noch ein paar Bleche auf dem Dach. Nun, wir haben kein Zelt, also auch keine Wahl. Dann heisst es Feuer entfachen, aber es ist alles feucht, kalt und nass. Selbst das Papier will nicht brennen und Feuerzeug eins fällt dem Versuch zum Opfer. Es ist geschmolzen. Ich besuche hilfesuchend unsere Nachbarn. Sie arbeiten weiter, als würde ich nicht existieren. Ich schaue zu, dann mache ich erneut auf mich aufmerksam und deute auf das Feuer. Sie bieten mir erst Essen an, verstehen dann aber. Sie hacken mir ein paar kleine Holzstuecke von einem wohl duftenden, sehr harzigen Strunk ab. Sie geben sie mir und ich kehre mit meiner Beute zurück. Als Dank bringe ich unseren Rettern eine Packung Pickels, das sie zuerst nur für mich öffnen möchte, ehe sie versteht, dass es sich um ein Geschenk handelt. Kurz darauf erscheint sie in unserer Hütte, macht uns das Feuer und zeigt auf den Balken, der das ganze Dach trägt und nur an einem Draht hängt. Wir verstärken das Ganze mit einem Seil und kämpfen mit dem langsam wieder erlöschen wollenden Feuer, reden ihm gut zu, husten wegen dem qualmenden Rauch und sammeln noch mehr Holz, um es zu trocknen. Schlussendlich essen wir etwas und legen uns darauf hin schlafen. Es ist bitterkalt, der Wind zieht durch die ganze Hütte und es beginnt zu regnen. Tropf, tropf, tropf, mitten in mein Gesicht. Mit dem Gedanken an Abenteuer schlafe ich irgendwann doch ein.
Tag 5: Im neuen Heim
Wir erwachen, denken über Frühstück nach und stellen fest, dass auch Feuerzeug zwei verschwunden ist. Da Feuerzeug drei nicht existiert stehen wir vor einem Problem. Bevor wir uns in unserer morgendlichen Umnebelung allerdings darüber ernsthafte Sorgen machen können, erscheinen unsere vier Nachbarn bewaffnet mit Streichhölzer, dem wundersamen Harzholz und einigen Ästen und machen uns ein Feuer. Wir danken von ganzem Herzen, sie machen uns noch darauf aufmerksam, dass es bitterkalt sein muss, mustern unsere Schlafsäcken kritisch und verschwinden wieder. Nichts geht wohl über ein Yakfell und sie haben recht. Dann brechen wir auf in Richtung Duokela, der Bergspitze auf 4420 m. Es ist ein steiler Aufstieg und wie immer verlieren wir erst eine Stunde auf der Suche nach dem richtigen Weg. (Gute Karten sind ein wahrer Luxus, den es hier leider nicht gibt)
Zum ersten mal in meinem Leben kraxle ich über 4000 m. Die Luft ist dünn. Wir schnaufen heftig. Aber der Blick, der sich uns bietet ist fantastisch, überwältigend. Wir drehen uns um und staunen. Nur ein Geräusch machte uns stutzig. Eine Lawine, zwei. Wir waren weit genug weg und sie waren klein. Aber der nasse Schnee, der Zeitpunkt und die Tatsache, dass wir mehrere Rutsche gehört hatten, veranlassten uns schlussendlich vor dem Gipfel umzudrehen.
Am Abend kämpften wir ein weiteres Mal mit mehr Erfolg mit dem Feuer, denn die gesammelte Birkenrinde wirkte Wunder. Wir reparierten das Dach und fühlten uns tatsächlich zu Hause.
Tag 6: Der Abstieg
Die Sonne begrüsste uns bereits am frühen morgen. Es war frühlingshaft warm, als wir uns von unseren Nachbarn verabschiedeten, ihnen den Rest unserer Gemüses überliessen und uns frohen Mutes an den Abstieg machten. Vögel zwitscherten und es war, als würde das Land erwachen. Der Abstieg war dennoch lang, da wir bis zur “Hauptstrasse” mussten, um schlussendlich einen Minivan anzuheuern. Um fünf Uhr konnten wir also eine Fahrt entlang dem Abgrund mit vollem Blick auf die Berge hier geniessen. Die soll anscheinend nur ungefähre 10 Tage pro Jahr gewährleistet sein. Es war der krönende Abschluss einer äusserst anstrengenden Wanderung und mitunter eine der besten Erfahrungen bisher. Ich bin glücklich, absolut glücklich.