Nachtleben

Ich verbrachte weitere 24 Stunden im Zug, bevor ich Delhi erreichte. Zurück im Norden war es auf einen Schlag wieder kalt. Dafür wartete Neha mit Abendprogramm auf mich. Zuerst ging es zu einigen Strassenfoodlokalen, denn ich muss alles testen, was ich noch nie gegessen hatte. Danach fuhren wir ins Route 69. Das ist ein Speiselokal, welches nebenan einen Bierladen hat. Die Speisen sind teuer, dafür kann das Bier zu normalen Ladenpreisen gekauft werden. Natürlich ist der Besitzer derselbe. Nur wird etwas weniger Steuer erhoben auf diese Weise.

Waga border. Sicht von den Indischen Raengen nach Pakistan hinueber.

Die Zeit verging zu schnell. Am nächsten Tag eilte ich bereits, damit ich den Zug nach Amritsar sicher erwische. Zumal ich nicht genau wusste, wie lange ich von der Metrostation Chandi Chowk nach Old Delhi brauchen würde. Ich hatte Informationen zu 15 und 10 Minuten, aber wenn ich es nicht fand und mitten in der Nacht… Ich habe zu viele üble Geschichten über Delhi gehört. Das es sich als 2 Minuten durch eine hell erleuchtete Unterführung mit vielen Menschen ist, hatte mir aber keiner gesagt. Ich war also viel zu früh beim Bahnhof. Der Zug hätte aber dennoch angeschlagen sein sollen. War er nicht. Das ist immer ein schlechtes Zeichen, denn es bedeutet erstmals kein Zug. Es war frostig, ich esse etwas, das einzige was ich finde und lange gekocht sein muss. Sauber wirkt es nicht, aber alle Bakterien sind hoffentlich tot. Danach frage ich mich durch. Die Gepäckträger wissen Bescheid. Platform 9. Ich schleppe mich und meinen Rucksack dorthin. Es ist 21.30 Uhr. Verhüllte Gestalten geistern umher oder liegen auf dem Bahnsteig. Nur eine Frau in westlicher Kleidung ist da. Sie beansprucht zusammen mit ihrem Gepäck eine ganze Bank. Ich frage, ob da noch Platz frei ist und setze mich.

Gefaerbtes Garn am Strassenrand in Amritsar.

“Auch nach Amritsar?” Frage ich weiter, doch sie ist nicht besonders gesprächig. “Ja.” Der Ehemann kommt zurueck. 3 Stunden Verspätung meltet er. Nun verstehe ich ihre Einsilbigkeit. Das bedeutet warten und frieren bis 1 Uhr morgens. Keine angenehme Aussicht alleine in diesem heruntergekommenen Bahnhof. Um 2 Uhr kam schlussendlich der Zug und er brachte uns nach Amritsar.

Brücke zum Tempel.

Alle Mühen hatten sich gelohnt. Am nächsten Mittag war der Zug in Amritsar. Das ist für mich die Stadt der Sikh. Viele Männer laufen mit Turban herum. Diese sind kunstvoll gewickelt und werden in verschiedenen Farben – passend zur Kleidung – getragen. Die Frauen tragen kaum Saris, sondern die so genannten Suits, die aber ebenso bunt sind. Einige bedecken die Haare mit einem Tuch. Wie es im Sommer ist, weiss ich allerdings nicht. So schützen sie sich auf jeden Fall gegen die Kälte und diese ist hier omnipräsent. Ich trage alles, was ich mit dabei habe in Lagen übereinander. Das einzige, was mich rettet ist das heisse Wasser Abends mit dem ich mir beinahe die Füsse verbrühe, denn das Wahrzeichen von Amritsar ist der Goldene Tempel. Der Ort, der Amritsar so besonders macht. Dort darf man allerdings keine Schuhe tragen. Daher verwandelt der Marmorboden Füsse gerne in Eiszapfen.

Männer bei einer Ständeansammlung in Amritsar.

Das war allerdings nicht das erste, was ich mir anschaute, denn ein paar Polen schleppten mich mit zur “Waga-Border”. Das ist die 30 km entfernte Grenze nach Pakistan. Der einzige Übergang, den auch Touristen passieren dürfen. Die Grenze wird jeden Abend in einer Zeremonie geschlossen und jeder Taxifahrer fragt dich danach. Kein Wunder, dass hunderte von Menschen auf die Tribünen zusteuerten, die da bereit standen. Wieder die Aufteilung Ausländer und Inder. Die Ausländer wurden so postiert, dass sie von den Pakistani, die auf der anderen Seite sassen, möglichst gut gesehen werden konnten. Beamte hampelten herum, die Fahnen wurden eingezogen, ruckartige Bewegungen. Eigentlich schon traurig das Schliessen einer Grenze so zu zelebrieren, emotional “Indien” und “Pakistan” zu schreien und Hymnen zu singen. Dazu werden Fotos geschossen. Aber immerhin wird das Spektakel gemeinsam inszeniert. Beide Seiten tragen dieselben Kleider. Nur in anderen Farben. Pakistan schwarz, Indien bunt.

Kontrolle der Reihen: "Sit down!"

Zurück in Amritsar machte ich mich mit den anderen zusammen auf zum Goldenen Tempel. Dem wohl heiligsten Ort der Sikh. Es sollen rund 750 kg Gold darin verarbeitet sein. Stetiger Singsang begleitet die Besucher. Statt zum Tempel ginge wir allerdings zum Esssaal, denn wir waren alle sehr hungrig. Hier wird jeder umsonst verpflegt. Wer möchte kann allerdings etwas spenden oder sich an der Arbeit beteiligen. Lubomir (ein Slowake, der auch mit bei der Grenze war) und ich gesellten uns zur Abwaschgruppe und in den folgenden Tagen wusch ich tauschende von Tellern, schälte Zwiebeln und entkernte Erbsen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie gut das tut, wenn man sonst immer bedient wird.

Der goldene Tempel in der Mitte des Wassers. Rund herum darf man im Schneidersitz auf dem Marmor sitzen.

Bemerkenswert war dabei die Effizienz und Organisation. Mit wenigen festen Angestellten, wussten all die freiwilligen Helfer dennoch sogleich wo und wie sie anpacken sollten. Als Lubomir und ich da ankamen wurde uns direkt ein Lappen in die Hand gedrückt und wir konnten mit anpacken. Ein Inder überliess mit mit seinem grosszügigsten Lächeln den letzten Teller zum Abwaschen, bevor die nächste Ladung im fast stetigen Fluss kam. Diese kleine Geste, des Teilens einer Arbeit bedeutete, dass ich für einmal dazu gehörte und nicht die reiche Touristin aus der Schweiz war. Jeder fügte sich mit ein, die Küche lief rund um die Uhr. Es werden rund 50000 Personen verpflegt an einem normalen Tag. An Feiertagen deutlich mehr.

Haupteingang des Tempels im Bau.

Empathie ist wichtig. Teilen, Freiwilligenarbeit, … Habe ich hier eine Religion gefunden mit der ich mich tatsächlich identifizieren könnte? Ich glaube dennoch nicht, obwohl mir die Theorie zusagt. Frauen und Männer sind gleich gestellt, obwohl docheine deutliche Rollenaufteilung da ist. Es ist wohl einfach eine sehr wissenschaftliche Religion und liegt mir daher näher. Es heisst zum Beispiel, dass täglich aus dem heiligen Buch gelesen werden soll. Falls das nicht möglich ist sollte man es sich von jemandem anhören und geht auch das nicht, dann soll man keine Schuldgefühle haben. Das macht für mich zumindest einen kleinen Unterschied aus und erklärt vielleicht doch, warum ich mich meist mit Sikh sehr gut verstanden habe.

Mischung von verschiedenen Baustils.

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