Das Hin und Her

Kann ich gehen oder nicht? Das frage ich mich in den letzten Monaten immer und immer wieder. Es war ein Auf- und Ab. Eigentlich mag ich Ungewissheit, aber das war ein bisschen zu viel davon. Vielleicht würde ich in einer Woche gehen können – unwahrscheinlich – vielleicht in einem Jahr. Immer wieder die Fallzahlen anschauen. Danach den Kopf schütteln. Wenn der Winter kommt, kann ich nicht mehr gehen. Das war klar. Können wir uns nicht ein bisschen zusammenreissen? Aber ich konnte es auch verstehen, nicht jede Person wartete darauf in ein anderes Land einreisen zu können und das Leben musste ja irgendwie weiter gehen. Trotzdem war es nervenaufreibend. Immer dieses Wechselbad der Gefühle. Sollte ich jetzt nach einer Zwischenlösung zum Arbeiten in der Schweiz schauen oder kann ich Anfang Oktober reisen? Denn über den ganzen Sommer war Japan für Menschen ohne japanischen Pass komplett dicht und auch jetzt waren die Angaben auf der offiziellen Seite nicht eindeutig.

Noch ein letzter Eindruck der Schweiz vor der Abreise. Ein wunderschöner Tag am Lai da Rims im Münstertal.

Und da plötzlich der Lichtblick. Ein Anruf bei der Botschaft ergab, dass ich ziemlich sicher reisen kann. Ich muss bloss noch vorbei kommen, um eine Wiedereinreisegenehmigung zu erhalten. Wann es so einfach sein? Nein, ganz so einfach war es nicht. Es musste noch ein negativer Covid-test her, der maximal 72 Stunden vor Abflug genommen wurde. 72 Stunde vor Montag 22:40 Uhr… Ja toll. Im Triemli ging es trotzdem. Dann musste der japanische Professor der vorzeitigen Einreise noch zustimmen.

Fast wie in der Wüste. Abstieg vom Piz Umbrail Richtung Lai da Rims.

Ich bin früh am Flughafen, so früh wie selten. Aber dieses Mal ist es keine Reise, dieses Mal werde ich zwei Jahre in einem fernen Land leben. Als ich einchecken möchte heisst es gleich «Noch checken wir gar nichts ein. Zeigen sie mir erst, dass sie auch berechtigt sind in Japan einzureisen.» Ich zeige meine Residence Card. Sie ist zufrieden. Wars doch einfacher als gedacht? Nicht zu früh freuen, ich glaube erst dass ich einreisen kann, wenn ich in Japan durch die Passkontrolle bin. Es ist schon seltsam, wenn man bis zum Morgen des Abflugs nicht einmal weiss, ob man überhaupt reisen kann. Vorfreude kann sich da nur schwer einstellen, aber alles war so überstürzt, dass ich sowieso keine Zeit dafür gefunden hätte. Ab dem Moment, als die Japanische Botschaft grünes Licht gegeben hatte, tat ich aber alles um abreisen zu können , denn ich wusste das ist mehr oder weniger meine einzige Chance für vielleicht das nächste halbe Jahr. Sprich es musste einfach alles (Wohnung räumen, Umzug, Packen, Wiedereinreisegenehmigung in Bern beantragen, Covidtest, Wohnsitz ummelden, Versicherungen ändern,… und dann kam noch ein Zusatzantrag für meine Finanzierung des Postdocs dazu) in den sieben Tagen, die mir blieben passieren.

Das leere Flugzeug. Wir waren wohl insgesamt ein Dutzend Passagiere.

LX160, 22:40 Uhr nach Tokyo, der einzige Flug auf der Anzeigetafel. Der Flughafen ist komplett ausgestorben. Nicht einmal Personal, kein Laden geöffnet, also keine oder nur sehr wenige Mitbringsel. Ich laufe erst komplett falsch, kein Mensch nirgendwo, nicht einmal jemand, den ich fragen könnte. Der Trinkwasserhahn ist abgeklebt und dann finde ich die paar Leute, die auf den Flug warten. Alles Japanerinnen und Japaner. Der Angestellte der Swiss mustert mich skeptisch. «Haben Sie einen Japanischen Pass?» Ich verneine. «Na dann zeigen Sie mal was sie haben.» Meint er nicht sonderlich freundlich. Ich ziehe erst die Wiedereinreiseerlaubnis der Japanischen Botschaft heraus. Das reicht nicht. Die Residence Card, reicht auch nicht, den negativen Covid-test, sieht schon besser aus, doch er sucht noch immer weiter bis er in meinem Pass das Reentry Permit findet. Das hat man nur noch erhalten, wenn man vor Mitte März (ungefähr) aus Japan ausgereist ist. Danach musste man anscheinend bei der Ausreise unterscheiben, dass man von seinem Wiedereintritt nach Japan keinen Gebrauch machen würden. Er fragt mich nochmals wann ich Japan verlassen hatte und als ich mit 26. Februar antwortete, nickte er zufrieden und erklärte, dass sie eine sehr hohe Strafe bezahlen müssen, wenn sie jemanden nach Japan befördern, der nicht alle Anforderungen erfüllt. Ich verstehe also all die Fragen.

Mein Quarantäneunterkunft. Zum Glück war ich in guter Gesellschaft (in der Kiste ist nämlich mein Velo und während ich ausharre, freue ich mich Pläne für die Fahrt damit nach Kyoto zu schmieden.

Ich fühle mich irgendwie fehl am Platz und noch schlimmer macht es, dass ich schon den ganzen Tag eine leicht fiebrige Gesichtshaus hatte. Die Temperaturmessung ergab aber, dass meine Körpertemperatur komplett normal war. Zum Glück, dennoch wurde ich wieder nervös. Wenn ich jetzt doch Fieber habe? Aber dann kam zu meiner «Erleichterung» auch noch ein Hautausschlag dazu und ein Ausschlag in der Armbeuge. Ich schien also nur auf die Maske allergisch zu reagieren. Phu! Nach all den Verabschiedungen und dem doch nie ganz wissen, ob es denn wirklich für zwei Jahre ist oder nicht, lagen meine Nerven echt langsam ein bisschen blank.

Wir stiegen ein. Dieser Flug würde wohl meinen Ökologischen Fussabdruck für den Rest meines Lebens ruinieren. So viel Besatzung wie Passagiere. Der Service ist ausgezeichnet und ich erhalte eine andere Maske, dann atme ich das erste Mal auf. Kann es sein, dass ich wirklich gehen kann? Die Crew ist unglaublich nett, entspannt und berichtet mir sogar, dass mein Velo also jetzt verladen worden ist. Man schien mir wohl angesehen zu haben, dass ich diejenige mit dem Velo sein musste.

Und natürlich wichtig, das WC. Wobei ich ja vor allem Freude an der Badewanne habe.

Der Flug verlief vollkommen ereignislos. Ich schlief einfach durch. Wir waren auch im ganzen hinteren Teil des Flugzeugs nur zwei Personen, es wäre also ein echtes Kunststück gewesen uns Gegenseitig zu wecken. Allerdings war es richtig kalt. Nur nicht krank werden, war zu meinem Mantra geworden.

Irgendwann halte ich es nicht mehr aus in der kleinen Wohnung. Mir fällt die Decke auf den Kopf und ich muss mich bewegen. Es hiess, dass ich mit Maske raus darf z.B. um einzukaufen, also beginne ich zwischen 2 und 3 Uhr morgens Spaziergänge an den nahe gelegenen Fluss zu unternehmen. Tokyo ist komplett ruhig und ausgestorben zu dieser Uhrzeit. Ich geniesse es.

Und dann landeten wir. Hier warteten mehre Personen auf mich, den letzten Gast. Ich war noch komplett verschlafen und stapfte in Richtung des nächsten Covid-tests, noch immer ein flaues Gefühl im Magen. Aber abgesehen davon, dass es gar nicht so einfach ist 1 cl Spucke auf Knopfdruck zu produzieren, waren alle unglaublich höflich, nett, zuvorkommend und das Testresultat war innerhalb von weniger als einer Stunde da. Ich musste nicht einmal etwas dafür bezahlen und nachdem ich brav meine Adresse vorweisen konnte, an der ich die Quarantäne verbringen werde (vorher zu buchen ist sonst ja nicht so mein Ding), haben sie mir auch ein Blatt gegeben mit allen Covid-Taxis, denn weder öffentlichen Verkehr, noch normale Taxis hätte ich verwenden dürfen. Ich bin ja sowieso schon sehr korrekt, aber ich weiss auch genau, dass mit solchen Dingen ganz besonders in Japan nicht zu spassen ist. Dennoch tun die 30’000 Yen (ca. 300 CHF) fürs Taxi schon ein bisschen weh. Gerade für eine Person wie mich, die bekannt dafür ist, dass sie lieber 5 Stunden läuft, als ein Taxi zu verwenden. Aber es ist wiederum so herrlich ironisch, dass es mich irgendwie auch amüsiert.

Endlich finde ich einen Onigirishop in der Nähe, wo ich Essen finde, das auch wirklich schmeckt.

So erreiche ich also meine Quarantänestation, die ich mit dem Karton meines Velos teile. Ich bin also nicht alleine. Wir arrangieren uns hier wunderbar. Ab dem zweiten Tag habe ich sogar wifi (hüstel) und ich darf mit Maske auch raus zum einkaufen, meine Versorgung ist also gesichert und Langeweile war noch nie mein Problem. Eigentlich muss ich sagen ist diese Quarantäne sogar ganz gemütlich. Einfach mal ein bisschen runterfahren, planen, Wohnung suchen, Pendenzen erledigen, zu Unzeiten schlafen und manchmal mitten in der Nach ein kurzer Spaziergang, wenn ich es in den vier Wänden nicht mehr aushalte. Ich habe sogar eine kleine Küche inklusive Mikrowelle (ich verwende zum ersten Mal in meinem Leben so ein Ding), Backofen, Kühlschrank und einer Herdplatte.

Dennoch Kochutensilieren fehlen mir. Sprich ich lebe tatsächlich gerade von Fertigprodukten wie Gurken, Karroten, Edamame, vorgekochtem Reis und Natto (vergährten Sojabohnen).

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